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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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es ziemlich kalt,
    aber die Dunkelheit ist so schön,
    dass man alles vergisst.
    Sie schloss die Augen und fuhr mit dem Refrain fort:
    Ich und Jan und Jan und ich.
    Jede Nacht, jeden Tag  ...
    Jan war so erstaunt über die Worte, dass er fast aus dem Takt geriet. Das klang so, als ob Rami und er zusammen wären, und das waren sie doch nicht?
    Als das Lied zu Ende war, ging Rami direkt zu anderen Akkorden im selben Rhythmus über. Sie beugte sich zum Mikrofon vor und blickte das Publikum zum ersten Mal geradeheraus an. Jan sah, dass sie lächelte, als sie sagte:
    Â»Jetzt kommt ein Lied über meine Psychologin.«
    Dann schlug sie ein hartes Riff an und nickte Jan zu, der den Takt sofort übernahm.
    Rami ließ sich von dem Rhythmus mittragen, schloss die Augen wieder und stieß mit heftigen, abrupten Stößen ihren Songtext hervor:
    Du hast eine Peitsche aus dem Mund geboren,
    du hast ein Sägeblatt aus deinem Rücken geboren,
    du hast kleine Egel
    im tiefen Brunnen deines Gehirns gezogen,
    und hast mich dort hineingeworfen, als ich böse war.
    Dann holte sie tief Luft zum Refrain, den sie noch härter hervorstieß:
    Psycho, Psycho, Psychotante!
    Hör doch auf mit dem Gequatsche!
    Lass mich doch in Ruh-hee!
    Und dann wurde der Refrain zur Endlosschleife. Rami stand kerzengerade da, aber sie sang nicht mehr, sondern stieß nur immer wieder die Worte »Hör doch auf mit dem Gequatsche!« aus. Sie hatte längst aufgehört, sich auf der Gitarre zu begleiten, aber Jan schlug weiter den Takt auf seinem Schlagzeug.
    Er sah, wie das Publikum aus der Klapse, die Insassen wie die Pfleger, wie gebannt dasaß. Die Jugendlichen hatten aufgehört zu flüstern und starrten alle auf Rami.
    Aber die Psychotante hinten an der Tür hatte sich erhoben. Sie sah nicht gerade zufrieden aus, und mit jedem Wort, das Rami ausstieß, arbeitete sie sich einen Schritt weiter zum Mikrofon vor, bis sie schließlich nur noch einen Meter von Jan und einen halben von Rami entfernt stand.
    Rami bemerkte sie nicht, sie hatte die Augen geschlossen und sang einfach immer weiter »Hör doch auf mit dem Gequatsche!«
    Erst als die Psychotante Rami an der Schulter fasste, öffnete sie die Augen. Aber sie sang trotzdem weiter, doch jetzt klang es wie ein Kriegsruf:
    Â»Hör doch auf! Hör doch auf! Hör doch auf!«
    Die Psychotante packte das Stativ und zog das Mikrofon von Rami weg.
    Doch Rami schrie auch ohne Mikrofon weiter. Es klang wie ein wütendes Brüllen, das die Jugendlichen auf dem Fußboden zusammenzucken und zurückweichen ließ.
    Â»Stirb! Stirb!«, schrie Rami und stürzte sich wie ein Raubtier auf die Psychotante. Ineinander verkeilt, rollten sie zwischen den Zuhörern herum. Zwei Ringer. Jan starrte sie an, trommelte aber weiter. Er hörte Ramis Schreie, sah, wie sie mit den Fingernägeln kratzte und riss – doch nicht an der Psychotante, sondern an sich selbst. Sie kratzte sich die Arme blutig und verschmierte hellrote Streifen, auf sich, auf dem Boden, auf der schwarzen Kleidung und dem Gesicht der Psychotante.
    Â»Beruhig dich, Alice!«
    Jörgen und ein Kollege kamen angelaufen und zerrten Rami weg. Doch sie schrie immer weiter und schlug wild um sich.
    Â»Hör auf zu trommeln!«, brüllte Jörgen Jan zu.
    Abrupt hörte Jan auf, aber Rami schrie und schrie weiterhin. Doch die Pfleger hatten sie jetzt fest im Griff und zogen sie aus dem Raum. Jan hörte, wie ihr Schreien den Flur hinunter verschwand, dann wurde es still.
    Plötzlich war alles ruhig, aber jemand keuchte. Die Psychotante. Sie erhob sich langsam und zupfte ihren blutigen Pullover zurecht. Ein Kollege reichte ihr ein Taschentuch.
    Â»Siehst du?«, schnaufte die Psychotante. »Erinnerst du dich an meine Diagnose?«
    Das Konzert war beendet, aber Jan blieb noch eine ganze Weile sitzen, ehe er sein Schlagzeug aufnahm. Seine Arme zitterten.
    Der Typ in der Jeansjacke sah sich mit einem unsicheren Lächeln um. Dann ging er zum Fernseher und schaltete ihn ein.
    Jan verließ das Zimmer allein. Er trug das Schlagzeug in die Abstellkammer zurück. Eigentlich wollte er danach in sein Zimmer gehen und zeichnen, doch als er die geschlossene Tür bei Rami sah, ging er hin und klopfte.
    Es kam keine Antwort, also klopfte er noch einmal.
    Keine Antwort.
    Â»Sie ist nicht da«, sagte ein helles Stimmchen hinter ihm.
    Jan drehte sich um und sah ein

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