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So fern wie ein Traum

So fern wie ein Traum

Titel: So fern wie ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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der unvermeidlichen Erniedrigung trat sie auf ihn zu. Als er sie packte, unterdrückte sie mühsam einen Schrei, ehe sie sich verwundert in einer zärtlichen Umarmung wiederfand.
    »Du bist ein wirklich tapferes Mädchen, Blondschopf«, sagte er.
    Er verströmte einen angenehmen Pferdeduft. »Bin ich das?«
    »Ich weiß, dass es die Hölle ist, wenn man seinen Stolz herunterschlucken muss. Aber du hast deine Sache wirklich gut gemacht.«
    Voller Verwunderung klammerte sie sich an ihn. Er war wie Großvater oder Onkel Josh oder Onkel Byron, nur ein bisschen anders, dachte sie. »Dann sind Sie nicht länger wütend auf mich?«, fragte sie vorsichtig.
    »Nein. Und du auf mich?«
    Sie schüttelte den Kopf und dann purzelten die Worte nur so aus ihr heraus. »Ich möchte bitte wieder reiten dürfen. Ich möchte wieder zurückkommen und Ihnen helfen und die Pferde füttern und striegeln. Ich habe Mama gesagt, es tut mir Leid, und ich werde nie wieder so aufsässig sein. Bitte schicken Sie mich nicht noch einmal fort.«
    »Wie sollte ich ohne dich überhaupt zu Rande kommen hier? Und Tess vermisst dich schon.«
    »Tut sie das? Wirklich?« Sie schniefte, legte den Kopf in den Nacken und sah ihn skeptisch an.
    »Vielleicht hast du ja gerade noch Zeit genug, ihr guten Tag zu sagen, bevor du in die Schule musst. Aber sicher willst du vorher die hier noch los werden.«
    Er zog ein Tuch aus seiner Hosentasche, und Ali, der zum ersten Mal in ihrem Leben die Tränen von einem Mann getrocknet wurden, verliebte sich vollends in ihn.
    »Geben Sie mir immer noch Reitstunden und zeigen mir, wie man springt?«
    »Und ob.« Er bot ihr seine Hand. »Freunde?«
    »Freunde.«
    »Michael. Meine Freunde nennen mich Michael«, sagte er.
    Nie zuvor hatte er das Templeton Hotel in Monterey besucht. Obgleich Michael hier an der Küste aufgewachsen war, war diese Tatsache nicht ungewöhnlich. Nie hatte er hier in der Gegend ein Hotel gebraucht, und selbst wenn es so gewesen wäre, das Templeton hätte seinen Geldbeutel gewiss überstrapaziert.
    Da er jedoch hin und wieder in der Ferienanlage, im Templeton Resort, gewesen war – schließlich hatte seine Mutter dort gearbeitet –, meinte er zu wissen, was ihn erwartete, als er an einem der uniformierten Türsteher vorüber ging. Doch für gewöhnlich, dachte er, übertraf alles Templetonsche noch sämtliche Erwartungen.
    Die elegante Lobby war in verschiedene, hinter Topfpalmen und anderen üppigen Grünpflanzen versteckte Sitzgruppen unterteilt, die den Wartenden in behaglichem Ambiente ungestörte Gespräche oder einfach erholsame Ruhepausen ermöglichten. Zu der langen, breiten mit bequemen Stühlen und glänzenden Tischen bestückten Bar ging es eine kurze Treppe hinauf. Hinter den schimmernden Messinggeländern der Galerie konnte man gemütlich einen Cocktail trinken und das Treiben in der Eingangshalle beobachten.
    Und es gab jede Menge Treiben, stellte Michael fest.
    In Sechserreihen drängten sich die Menschen um den Empfang, überfluteten regelrecht den langen Mahagonitisch, an dem mehrere Angestellte des Hotels eilig Zimmer zuteilten. Zwei Serviererinnen schoben sich an den Wartenden vorbei und boten ihnen Gläser mit Mineralwasser an.
    Es herrschte ein regelrechter Höllenlärm.
    Wo auch immer die Leute standen, saßen oder herumwanderten, unterhielten sie sich miteinander, bemerkte er. Es waren fast nur Frauen zu sehen, einige von ihnen geschäftsmäßig gekleidet, andere sichtlich von der Anreise zerknittert und erschöpft. Und sie alle, dachte er, während er die turmhoch beladenen Gepäckwagen betrachtete, hatten genügend Koffer für einen mindestens sechsmonatigen Aufenthalt dabei.
    Zwei Frauen liefen über den schimmernd gefliesten Boden kreischend aufeinander zu und fielen einander in die Arme, als hätten sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Mehrere andere Frauen unterzogen ihn einer mehr oder weniger unverhohlenen Musterung. Nicht, dass es ihm besonders viel ausmachte, Gegenstand derarf wohlwollenden Interesses zu sein, aber angesichts der hoffnungslosen Überzahl des weiblichen Geschlechts hielt er einen diskreten Rückzug für angebracht.
    Dann sah er sie, und es war, als gäbe es plötzlich keine anderen Frauen mehr im Raum. Sie hatte ein Klemmbrett und eine dicke Akte in der Hand. Die Haare waren hoch gesteckt und zu einem ordentlichen, professionellen Knoten zusammengedreht. Sie trug ein schlichtes, schwarzes Kostüm, dem selbst ein Ignorant in Modedingen wie er

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