Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
verriegelt. Deshalb wagte er es sicher auch zu schlafen.
    Nur ein Nachtlicht war an, und Håkan studierte die verwischten Schatten an der Decke, wie ein gesunder Mann zuweilen im Gras liegt und die Wolken betrachtet. Er suchte Formen, Figuren in den Schatten, wusste nicht, ob er fähig sein würde zu lesen, sehnte sich jedoch danach, es zu tun.
    Eli war fort, und allmählich meldete sich zurück, was sein früheres Leben dominiert hatte. Er würde zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt werden und die Zeit nutzen, um all das zu lesen, was er noch nicht gelesen hatte, und all das, was er sich geschworen hatte, noch einmal zu lesen.
    Er war gerade dabei, in Gedanken alle Titel von Selma Lagerlöf durchzugehen, als ihn ein scharrendes Geräusch aus seinen Gedanken riss. Er lauschte, hörte erneut das Scharren. Es kam vom Fenster.
    Er drehte den Kopf so weit, wie ihm dies möglich war, schaute hin. Von dem schwarzen Himmel setzte sich, beleuchtet vom Schein des Nachtlichts, ein helleres Oval ab. Ein kleiner, heller Fleck wurde neben dem Oval gehoben, wackelte hin und her. Eine Hand. Sie winkte. Die Hand wurde über das Fenster gezogen, woraufhin erneut das scharrende, quietschende Geräusch ertönte.
    Eli.
    Als sein Herz losraste, flatterte wie ein Vogel in einem Netz, war Håkan froh, dass er nicht an ein EKG-Gerät angeschlossen war. Er sah sein Herz aus der Brust hervorbrechen, über den Boden zum Fenster kriechen.
    Komm herein, Geliebter. Komm herein.
    Aber das Fenster war geschlossen, und selbst wenn es offen gewesen wäre, hätten seine Lippen die Worte nicht formen können, die Eli Zutritt zu dem Zimmer verschafft hätten. Möglicherweise konnte er eine Geste machen, die das Gleiche bedeutete, aber er hatte diese Sache nie wirklich verstanden.
    Kann ich?
    Prüfend zog er erst das eine Bein vom Bett, dann das andere. Setzte die Füße auf den Boden, versuchte aufzustehen. Die Beine wollten sein Gewicht nicht tragen, nachdem er zehn Tage stillgelegen hatte. Er stützte sich auf das Bett, wäre beinahe seitlich weggesackt.
    Der Infusionsschlauch wurde so straff gezogen, dass die Haut an der Einstichstelle spannte. Der Schlauch war mit einer Alarmvorrichtung verbunden, parallel zu ihm verlief ein dünner elektrischer Draht. Wenn er den Schlauch an einem der beiden Enden herauszog, wurde der Alarm ausgelöst. Er bewegte den Arm Richtung Infusionsständer, sodass der Schlauch wieder schlaff herabhing, wandte sich erneut dem Fenster zu. Das helle Oval war noch da, erwartete ihn.
    Ich muss.
    Der Infusionsständer hatte Räder, die Batterie für den Alarm war gleich unter dem Infusionsbeutel festgeschraubt. Er griff nach dem Ständer, bekam ihn zu fassen. Mit dem Ständer als Stütze richtete er sich sachte, ganz sachte auf. Das Zimmer verschwamm vor seinem einzigen Auge, als er einen prüfenden Schritt machte, stehen blieb, lauschte. Sein Bewacher atmete weiterhin ruhig.
    Mit winzigen Schritten schlurfte er durchs Zimmer. Sobald ein Rädchen des Infusionsständers quietschte, blieb er stehen und lauschte. Irgendetwas sagte ihm, dass es seine letzte Begegnung mit Eli sein würde, und er hatte nicht vor, es … zu vermasseln.
    Sein Körper war erschöpft wie nach einem Marathonlauf, als er schließlich das Fenster erreichte und sein Gesicht dagegen presste, sodass die gelatineartige Schicht, die seine Haut bedeckte, auf dem Fensterglas verschmiert wurde und sein Gesicht erneut brannte.
    Nur zwei Zentimeter eines doppelt verglasten Fensters trennten sein Auge von den Augen seines Geliebten. Eli strich mit der Hand über das Glas, wie um sein entstelltes Gesicht zu liebkosen. Håkan hielt sein Auge Elis so nahe, wie er nur konnte, und dennoch begann der Anblick zu verwischen, Elis schwarze Augen verschwammen, wurden undeutlich.
    Er war davon ausgegangen, dass der Tränenkanal verätzt war wie alles andere, doch das war nicht der Fall. Tränen stiegen ihm ins Auge und machten ihn blind. Seinem provisorischen Lid wollte es nicht gelingen, sie fortzuzwinkern, und er strich sich mit seiner unverletzten Hand vorsichtig über das Auge, während sein Körper sich still schluchzend schüttelte.
    Seine Hand tastete nach dem Schließhebel des Fensters. Drehte ihn. Rotz lief aus dem Loch, das einmal seine Nase gewesen war, und tropfte auf die Fensterbank, als er das Fenster aufzog.
    Kalte Luft strömte in den Raum. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sein Bewacher aufwachte. Håkan streckte seinen Arm, seine gesunde Hand aus dem

Weitere Kostenlose Bücher