So finster die Nacht
öffnete seine Tür, ging um den Wagen herum und streckte einen Arm aus, um den Greis zu stützen. Schnee fiel in seinen Nacken und auf seine Jacke. Der alte Mann wollte gerade nach dem Arm greifen, als sein Blick auf etwas am Himmel fiel und er sitzen blieb.
»Nun kommen Sie schon. Ich halte Sie fest.«
Der alte Mann zeigte nach oben. »Was ist denn das?«
Der Taxifahrer schaute in die Richtung, in die der Mann zeigte.
Auf dem Dach des Krankenhauses stand ein Mensch. Ein kleiner Mensch. Mit nacktem Oberkörper, die Arme eng an den Körper angelegt.
Alarm.
Er sollte über Funk Alarm schlagen. Aber er stand still, war nicht fähig, sich zu bewegen. Wenn er sich jetzt von der Stelle rührte, würde eine Art Gleichgewicht erschüttert werden und der kleine Mensch fallen.
Seine Hand schmerzte, als der alte Mann sie mit krallenartigen Fingern packte, seine Fingernägel in den Handteller bohrte. Dennoch rührte er sich nicht.
Schnee fiel ihm in die Augen, und er zwinkerte. Der Mensch auf dem Dach breitete seine Arme aus, hob sie über den Kopf. Irgendetwas hing zwischen Armen und Körper; eine Haut … Membran. Der alte Mann zog an seiner Hand, erhob sich aus dem Wagen und stellte sich neben ihn.
Als die Schulter des Greises seine eigene berührte, fiel der kleine Mensch … das Kind … direkt nach vorn. Er keuchte auf, und die Finger des Alten bohrten sich erneut in seine Handfläche. Das Kind fiel direkt auf sie zu.
Instinktiv duckten sich beide und hielten sich die Arme über den Kopf.
Nichts geschah.
Als sie wieder aufblickten, war das Kind verschwunden. Der Taxifahrer schaute sich um, aber alles, was es im Luftraum zu sehen gab, war fallender Schnee unter Straßenlaternen. Der alte Mann röchelte.
»Der Todesengel. Das war der Todesengel. Ich werde diesen Ort nie mehr verlassen.«
SAMSTAG, 7. NOVEMBER (NACHT)
»Habba-Habba soudd-soudd!«
Die Gang aus sieben Jungen und Mädchen war am Hötorget eingestiegen. Sie waren ungefähr in Tommys Alter. Betrunken. Die Jungen brüllten von Zeit zu Zeit los, fielen auf die Mädchen, und die Mädchen lachten, schlugen nach ihnen. Dann sangen sie wieder. Das gleiche Lied, immer und immer wieder. Oskar beobachtete sie verstohlen.
Ich werde nie so sein wie sie.
Leider. Er hätte es sich gewünscht, denn sie schienen Spaß zu haben. Aber Oskar würde niemals so sein, sich so verhalten können, wie diese Jungen es taten. Einer von ihnen stellte sich auf den Sitz und sang laut: »A Huleba-Huleba, A-ha-Huleba …«
Ein Typ, der bei den Behindertenplätzen am Ende des Wagens saß und vor sich hindöste, rief: »Könnt ihr nicht ein bisschen leiser sein! Ich versuche zu schlafen.«
Eines der Mädchen streckte den Mittelfinger aus, hielt ihn dem Typen hin.
»Schlafen soll man zu Hause.«
Die ganze Gang lachte und stimmte wieder in das Lied ein. Einige Plätze entfernt saß ein Mann und las in einem Buch. Oskar senkte den Kopf ein wenig, um den Titel zu lesen, konnte jedoch nur den Autorennamen entziffern: Göran Tunström. Nichts, was er kannte.
In dem Vierersitz neben Oskars saß eine alte Frau mit einer Handtasche auf dem Schoß. Sie sprach leise vor sich hin, gestikulierte in Richtung eines unsichtbaren Gesprächspartners.
Nie zuvor war er nach zehn Uhr U-Bahn gefahren. Waren das die gleichen Menschen, die tagsüber schweigend vor sich hinstierten, Zeitungen lasen? Oder war es eine spezielle Gruppe, die nur nachts auftauchte? Der Mann mit dem Buch blätterte um. Oskar hatte erstaunlicherweise kein Buch dabei. Schade. Er wäre gerne wie dieser Mann gewesen; unbeeindruckt von allem, was um ihn herum geschah, hätte er in einem Buch gelesen. Aber er hatte nur seinen Walkman und den Würfel dabei. Er hatte vorgehabt, die Kiss-Kassette zu hören, die er von Tommy bekommen hatte, was er im Bus auch getan hatte, aber schon nach ein paar Liedern leid gewesen war.
Er holte den Würfel aus der Tasche. Drei Seiten waren gelöst. Nur ein lächerliches kleines Stück fehlte noch an der vierten. Eli und er hatten eines Abends mit dem Würfel gespielt, darüber gesprochen, wie man vorgehen konnte, und seither war Oskar besser geworden. Er betrachtete alle Seiten, versuchte eine Strategie zu entwickeln, hatte aber immer nur Elis Gesicht vor Augen.
Wie wird sie aussehen?
Er hatte keine Angst. Er existierte in dem Gefühl, dass … ja … er konnte überhaupt nicht hier sein um diese Uhrzeit, konnte nicht tun, was er gerade tat. Es existierte nicht. Das war nicht er.
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