Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
einfach vorbei. All das gab es jetzt nicht mehr. Er hatte keine Mutter, keinen Vater, kein früheres Leben, er war einfach nur … hier. Er trat durch die Tür, stieg die Treppen hinauf.
    Auf dem Treppenabsatz stehend, betrachtete er die abgewetzte Holztür, das Namensschild ohne Namen. Hinter der Tür.
    Er hatte sich vorgestellt, einfach die Treppen hinaufzulaufen und zu klingeln. Stattdessen setzte er sich direkt neben der Tür auf die zweitunterste Treppenstufe.
    Und wenn sie nicht wollte, dass er kam?
    Immerhin war sie es gewesen, die fortgerannt war. Sie würde vielleicht sagen, er solle gehen, sie wolle ihre Ruhe haben, sie …
    Der Kellerverschlag. Von Tommy und den anderen.
    Dort konnte er schlafen, auf der Couch. Nachts waren sie doch bestimmt nicht da, oder? Dann würde er Eli morgen Abend treffen, wie immer.
    Es wird nicht wie immer sein.
    Er starrte die Klingel an. Es würde nie wieder so sein wie früher. Etwas Großes musste getan werden. Zum Beispiel weglaufen, trampen, mitten in der Nacht nach Hause kommen, um zu zeigen, dass es … wichtig war. Er hatte keine Angst davor, dass sie vielleicht ein Wesen war, das von Menschenblut lebte, sondern davor, dass sie ihn von sich stoßen könnte.
    Er klingelte.
    Ein Schrillen drang aus der Wohnung und hörte auf, als er den Knopf losließ. Er blieb sitzen, wartete, klingelte noch einmal, länger. Nichts. Kein Ton.
    Sie war nicht zu Hause.
    Oskar saß regungslos auf der Treppenstufe, während sich die Enttäuschung wie ein Stein in seinen Bauch senkte. Auf einmal war er müde, unglaublich müde. Langsam richtete er sich auf, ging die Treppen hinab. Auf halbem Weg hatte er eine Idee. Dumm, aber warum nicht. Er ging erneut zu ihrer Tür und buchstabierte mit kurzen und langen Klingelsignalen ihren Namen mit Morsezeichen.
    Kurz. Pause. Kurz, lang, kurz, kurz. Pause. Kurz, kurz. E … L … I …
    Wartete. Kein Laut drang von der anderen Seite zu ihm heraus. Er wandte sich ab, um zu gehen, als er ihre Stimme hörte.
    »Oskar? Bist du es?«
    Und es war so, trotz allem; dass die Freude eine Rakete war, die in seiner Brust abgefeuert wurde und aus seinem Mund explodierte mit einem viel zu lauten:
    »Ja!«
    *
    Um etwas zu tun zu haben, holte Maud Carlberg eine Tasse Kaffee aus dem Raum hinter der Information, setzte sich in das verdunkelte Häuschen. Ihr Dienst war schon seit einer Stunde zu Ende, aber die Polizei hatte sie gebeten zu bleiben.
    Zwei Männer, die nicht wie Polizisten gekleidet waren, pinselten dort, wo das kleine Mädchen mit seinen nackten Füßen gegangen war, eine Art Pulver auf den Fußboden.
    Der Polizist, der ihr Fragen dazu gestellt hatte, was das Mädchen gesagt und getan und wie es ausgesehen hatte, war nicht besonders freundlich gewesen. Maud hatte die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass seine Stimme andeutete, sie habe sich falsch verhalten. Aber wie hätte sie das ahnen können?
    Henrik, ein Kollege vom Sicherheitsdienst, der oft zur gleichen Zeit Abenddienst hatte wie sie, kam zur Information und zeigte auf die Kaffeetasse.
    »Für mich?«
    »Wenn du möchtest.«
    Henrik nahm die Kaffeetasse, trank einen Schluck und schaute in die Eingangshalle. Außer den Männern, die den Fußboden bepinselten, hielt sich dort noch ein uniformierter Polizeibeamter auf, der sich mit einem Taxifahrer unterhielt.
    »Viele Leute heute Abend.«
    »Ich verstehe gar nichts mehr. Wie ist sie da nur hochgekommen?«
    »Keine Ahnung. Das versuchen sie wohl gerade herauszufinden. Sie scheint die Wand hinaufgeklettert zu sein.«
    »Das geht doch gar nicht.«
    »Nee.«
    Henrik holte eine Tüte Lakritz aus der Tasche und hielt sie ihr hin. Maud schüttelte den Kopf, und Henrik nahm drei heraus, schob sie sich in den Mund und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
    »Ich hab aufgehört zu rauchen. Hab vier Kilo in zwei Wochen zugenommen.« Er schnitt eine Grimasse. »Nein, verdammt. Du hättest ihn sehen sollen.«
    »Wen … den Mörder?«
    »Ja. Er hat die ganze Wand vollgespritzt. Und dann das Gesicht … mein Gott. Sollte man sich irgendwann umbringen wollen, dann bitteschön mit Tabletten. Stell dir mal vor, Obduzent zu sein. Dann muss man …«
    »Henrik.«
    »Ja?«
    »Sei still.«
    *
    Eli stand in der geöffneten Tür. Oskar saß auf der Treppenstufe. Mit einer Hand umklammerte er den Griff seiner Tasche, als wäre er bereit, jeden Augenblick zu gehen. Eli strich sich eine Strähne hinters Ohr. Sie sah kerngesund aus. Ein kleines, unsicheres Mädchen. Sie sah auf

Weitere Kostenlose Bücher