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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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mich nicht, und niemand kann mir etwas tun.
    Er hatte Papa von Norrtälje aus angerufen, und Papa hatte am Telefon geweint. Er hatte gesagt, er werde jemanden anrufen, der Oskar abholen solle. Es war das zweite Mal in seinem Leben gewesen, dass Oskar seinen Vater weinen hörte. Für einen Moment war Oskar versucht gewesen, sich erweichen zu lassen. Als Papa jedoch anfing, sich aufzuregen und zu schreien, er müsse ja wohl noch sein eigenes Leben führen dürfen und in seinen eigenen vier Wänden machen können, was er wollte, hatte Oskar aufgelegt.
    In dem Moment hatte es ernsthaft begonnen; dieses Gefühl, dass es ihn gar nicht gab.
    Die Gang aus Jungen und Mädchen stieg am Ängbyplan aus. Einer der Jungen drehte sich um und rief in den Wagen hinein:
    »Schlaft gut, meine lieben … lieben …«
    Er fand nicht das richtige Wort, und eines der Mädchen zog ihn mit sich. Als sich die Türen schon schlossen, riss er sich von ihr los, lief zu ihnen zurück, hielt eine Tür offen und rief:
    »… Mitreisenden! Schlaft gut, meine lieben Mitreisenden!«
    Er ließ die Tür los, und die Bahn setzte sich in Bewegung. Der lesende Mann ließ sein Buch sinken, sah den Jugendlichen auf dem Bahnsteig hinterher. Dann wandte er sich zu Oskar um, sah ihm in die Augen und lächelte. Oskar erwiderte flüchtig sein Lächeln und tat anschließend, als konzentriere er sich wieder auf den Würfel.
    Seine Brust war von dem Gefühl erfüllt … anerkannt worden zu sein. Der Mann hatte ihn angesehen und ihm einen Gedanken gesandt: Es ist schon gut. Alles, was du tust, ist okay.
    Dennoch traute er sich nicht, den Mann noch einmal anzusehen. Ihm war, als wüsste der Mann Bescheid. Oskar drehte ein wenig an dem Würfel, drehte wieder zurück.
     
    Außer ihm stiegen in Blackeberg noch zwei weitere Fahrgäste aus anderen Wagen aus. Ein älterer Junge, den er nicht kannte, und ein erwachsener Rocker, der sehr betrunken zu sein schien. Der Rocker taumelte zu dem älteren Jungen und rief:
    »Hö’ma’, haste ma’ ne Fluppe?«
    »Sorry, ich rauche nicht.«
    Der Rocker schien nur die Ablehnung gehört zu haben, denn er zerrte einen Zehner aus der Tasche und wedelte damit. »Zehn Mäuse! Für nur einen Glimmstängel.«
    Der Junge schüttelte den Kopf und ging weiter. Der Rocker blieb wankend zurück, und als Oskar vorbeiging, hob er den Kopf und sagte: »Du!« Doch dann wurden seine Augen schmäler, und er fixierte Oskar und schüttelte den Kopf. »Nee. Schon gut. Friede sei mit dir, Bruder.«
    Oskar stieg die Treppen zur Stationshalle hinauf und überlegte, ob der Rocker jetzt auf die stromführende Schiene pinkeln würde. Der ältere Junge verschwand durch die Ausgangstür. Abgesehen vom Fahrkartenkontrolleur an der Sperre war Oskar allein in der Stationshalle.
    Nachts war hier alles so verändert. Das Fotogeschäft, der Blumenladen und die Kleiderboutique in der Halle waren unbeleuchtet. Der Kontrolleur saß in seiner Kabine, hatte die Füße auf den Tresen gelegt, las etwas. Es war so still. Auf der Wanduhr war es kurz nach zwei. Eigentlich sollte er jetzt in seinem Bett liegen und schlafen. Zumindest schläfrig sollte er sein. Aber so war es nicht. Er war so müde, dass sich sein Körper ganz hohl anfühlte, aber es war ein Hohlraum voller Elektrizität. Schläfrig war er nicht.
    Unten am Bahnsteig wurde eine Tür aufgeschlagen, und er hörte die Stimme des Rockers von unten heraufdringen: »Verneiget euch, ihr Dorfleute, mit Buckel und Baton …«
    Es war das Lied, das er selber auch gesungen hatte. Er lachte auf und lief los, lief durch die Türen ins Freie, den Hang zur Schule hinab, an der Schule, am Parkplatz vorbei. Es schneite wieder, und die großen Flocken durchlöcherten die Hitze in seinem Gesicht. Während er lief, blickte er auf. Der Mond war noch immer bei ihm, machte Kuckuck zwischen den Hochhäusern.
    Als er auf den Hinterhof gelangte, blieb er stehen und atmete durch. Die meisten Fenster waren dunkel, aber war da nicht ein schwacher Lichtschein hinter den Jalousien in Elis Wohnung?
    Wie wird sie aussehen?
    Er ging den Hang hinauf, warf einen Blick auf sein eigenes, dunkles Fenster. In diesem Zimmer lag der normale Oskar und schlief. Oskar … vor Eli. Der mit dem Pinkelball in der Unterhose. Er dagegen benutzte den Ball nicht mehr, benötigte ihn nicht länger.
    Er schloss die Tür auf und ging durch den Kellergang in ihr Treppenhaus, blieb nicht stehen, um zu schauen, ob noch ein Fleck auf dem Fußboden war, sondern ging

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