So finster die Nacht
ihre Hände hinab, sagte leise: »Kommst du?«
»Ja.«
Eli nickte fast unmerklich, flocht ihre Finger ineinander. Oskar blieb auf der Treppenstufe sitzen.
»Darf ich … hereinkommen?«
»Ja.«
Auf einmal ritt Oskar der Teufel. Er sagte: »Sag, dass ich hereinkommen darf.«
Eli hob den Kopf, machte Anstalten, etwas zu sagen, blieb stumm. Sie schloss die Tür ein wenig, hielt inne. Trat mit ihren nackten Füßen auf der Stelle, sagte dann:
»Du darfst hereinkommen.«
Sie wandte sich um und ging in die Wohnung. Oskar folgte ihr, schloss die Tür hinter sich. Er stellte seine Tasche im Flur ab, zog die Jacke aus und hängte sie an eine Hutablage mit Kleiderhaken, an der ansonsten nichts hing.
Eli stand mit hängenden Armen in der Tür zum Wohnzimmer. Sie trug bloß einen Slip und ein rotes T-Shirt, auf dem Iron Maiden über einem Bild des Skelettmonsters stand, das immer auf ihren Plattenhüllen abgebildet war. Oskar glaubte das Hemd zu erkennen. Er hatte es schon einmal im Müllkeller gesehen. War es dasselbe?
Eli musterte ihre schmutzigen Füße.
»Warum hast du das eben gesagt?«
»Du hast es doch auch gesagt.«
»Ja. Oskar …«
Sie zögerte. Oskar blieb stehen, wo er stand, die Hand auf der Jacke, die er gerade aufgehängt hatte. Er sah die Jacke an, als er fragte:
»Bist du ein Vampir?«
Sie schlug die Arme um den Leib, schüttelte sachte den Kopf.
»Ich … lebe von Blut. Aber ich bin nicht … das.«
»Was ist der Unterschied?«
Sie sah ihm in die Augen und sagte, diesmal mit etwas mehr Nachdruck:
»Es ist ein riesengroßer Unterschied.«
Oskar sah, wie ihre Zehen sich krümmten, entspannten, krümmten. Die nackten Beine waren unglaublich schmal, wo das T-Shirt endete, konnte er den Rand eines weißen Slips sehen. Er machte eine Geste zu ihr hin. »Bist du irgendwie … tot?«
Zum ersten Mal, seit er gekommen war, lächelte sie.
»Nein. Merkt man das nicht?«
»Ja aber … du weißt schon … bist du irgendwie schon einmal gestorben?«
»Nein. Aber ich habe sehr lange gelebt.«
»Also bist du alt. Innerlich. Im Kopf.«
»Nein, bin ich nicht. Das ist das Einzige, was ich selber wirklich seltsam finde. Was ich nicht verstehen kann. Warum ich … in gewisser Weise … nie älter werde als zwölf.«
Oskar dachte nach, strich über den Ärmel seiner Jacke.
»Weil du es bist, vielleicht.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, also … du kannst nicht verstehen, warum du nur zwölf Jahre alt bist, weil du nur zwölf Jahre alt bist.«
Eli runzelte die Stirn. »Willst du damit sagen, ich bin dumm?«
»Nein. Aber ein bisschen schwer von Begriff. Wie kleine Kinder im Allgemeinen so sind.«
»So, so. Wie läuft es denn mit dem Würfel?«
Oskar schnaubte, sah ihr in die Augen und erinnerte sich an die Sache mit den Pupillen. Jetzt waren sie wieder ganz normal, aber sie hatten so seltsam ausgesehen, oder etwa nicht? Trotz allem … es war zu viel. Man konnte das einfach nicht glauben.
»Eli. Du denkst dir das nur aus, oder?«
Eli strich über das Skelettmonster auf ihrem Bauch, ließ die Hand mitten auf dem gähnenden Mund des Monsters liegen.
»Willst du immer noch einen Bund mit mir eingehen?«
Oskar wich einen halben Schritt zurück.
»Nein.«
Sie schaute zu ihm auf. Traurig, fast anklagend.
»Nicht so. Du begreifst doch wohl … ich hätte …«
Sie verstummte. Oskar sprach für sie weiter.
»Hättest du mich töten wollen, hättest du es längst getan.«
Eli nickte. Oskar wich noch einen halben Schritt zurück. Wie schnell würde er durch die Tür hinauskommen können? Sollte er die Tasche zurücklassen? Eli schien seine Unruhe, seinen Wunsch zu fliehen, nicht zu bemerken. Oskar blieb mit angespannten Muskeln stehen.
»Werde ich … mich anstecken?«
Den Blick weiterhin auf das Monster auf ihrem Bauch gerichtet, schüttelte Eli den Kopf. »Ich will niemanden infizieren. Am allerwenigsten dich.«
»Was ist es dann? Dieser Bund?«
Sie hob den Kopf, blickte zu dem Punkt, an dem sie ihn vermutete, und entdeckte, dass er dort nicht mehr war. Zögerte. Ging dann zu ihm und nahm seinen Kopf in ihre Hände. Oskar ließ es geschehen. Eli sah … leer aus. Abwesend. Aber es gab nicht die geringste Andeutung jenes Gesichts, das er im Keller gesehen hatte. Ihre Fingerspitzen berührten seine Ohren. Ruhe durchströmte Oskars Körper.
Es geschehe.
Es geschehe, was immer geschehen soll.
Elis Gesicht war zwanzig Zentimeter von seinem eigenen entfernt. Ihr Atem roch seltsam, wie der
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