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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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womöglich sechzig Jahre in ihrer Schatulle gelegen hatten, ohne dass sie jemals jemand herausgenommen, sie in der Hand gehalten, benutzt hätte.
    Immer mehr Geräusche umgaben sie, das Haus erwachte. Virginia hörte sie nicht mehr, als sie die Decke und die Laken ausbreitete, sich in sie hüllte, in den Kleiderschrank kroch und die Türen schloss. Es war stockfinster in dem Schrank. Sie zog sich die Decken und die Laken über den Kopf, kauerte sich zusammen wie eine Larve in einem doppelten Kokon.
    Niemals.
    Paradierend, in Habachtstellung auf ihrem Samtbett, wartend. Zierliche, kleine Teelöffel aus Silber. Sie rollte sich zusammen, der Stoff der Decken lag dicht auf ihrem Gesicht.
    Wer soll sie jetzt bekommen?
    Ihre Tochter. Ja. Lena würde sie bekommen und die Löffel benutzen, um Ted zu füttern. Dann würden sich die Löffel freuen. Ted würde mit diesen Löffeln sein Kartoffelpüree essen. Das war gut.
    Sie lag still wie ein Stein, Ruhe verbreitete sich in ihrem Körper. Ein letzter Gedanke kam ihr noch, ehe sie in dieser Ruhe versank. Warum ist es nicht heiß?
    Mit der Decke auf dem Gesicht, eingewickelt in dicken Stoff, sollte es um ihren Kopf so warm sein, dass man schwitzte. Die Frage schwebte verschlafen in einem großen, schwarzen Raum, landete schließlich bei einer sehr einfachen Antwort.
    Weil ich seit Minuten nicht mehr geatmet habe.
    Und nicht einmal jetzt, als ihr das bewusst wurde, hatte sie das Gefühl, es tun zu müssen. Keine Erstickungsgefühle, kein Sauerstoffmangel. Sie musste nicht mehr atmen, das war alles.
    *
    Der Gottesdienst begann erst um elf, aber schon um Viertel nach zehn standen Tommy und Yvonne in Blackeberg auf dem Bahnsteig und warteten auf die Bahn.
    Staffan, der im Kirchenchor sang, hatte Yvonne erzählt, wie das Thema der heutigen Predigt lautete. Wonne hatte es dann an Tommy weitergegeben und sich zaghaft erkundigt, ob er vielleicht mitkommen wolle, ein Angebot, dem er zu ihrer Überraschung zugestimmt hatte.
    Es würde um die Jugend von heute gehen.
    Ausgehend von jener Stelle im Alten Testament, in der vom Auszug Israels aus Ägypten erzählt wurde, hatte der Pfarrer mit Staffans Hilfe eine Predigt zusammengestellt, in der es um Leitsterne ging. Was sich ein junger Mensch in der heutigen Gesellschaft sozusagen vor Augen führen konnte, wovon er sich auf seiner Wanderung durch die Wüste leiten lassen konnte und so weiter.
    Tommy hatte sich die entsprechende Passage in der Bibel durchgelesen und gesagt, er komme gerne mit.
    Als die Bahn an diesem Sonntagmorgen vom Islandstorget kommend aus dem U-Bahn-Schacht herandonnerte, dabei eine Säule aus Luft vor sich herschiebend, die Yvonnes Haare flattern ließ, war sie deshalb rundum glücklich. Sie sah ihren Sohn an, der neben ihr stand und die Hände tief in den Jackentaschen vergraben hatte.
    Es wird schon werden.
    Ja. Allein die Tatsache, dass er sie zum Sonntagsgottesdienst begleiten wollte, war großartig. Aber darüber hinaus deutete dies doch auch an, dass er Staffan akzeptiert hatte, oder etwa nicht?
    Sie stiegen in die Bahn, setzten sich neben einen älteren Mann gegenüber. Bevor die Bahn kam, hatten sie darüber gesprochen, was sie beide am Morgen im Radio gehört hatten; die Jagd auf den Ritualmörder im Judarnwald. Yvonne lehnte sich zu Tommy vor.
    »Glaubst du, sie kriegen ihn?«
    Tommy zuckte mit den Schultern.
    »Ich denke schon. Aber es ist natürlich ein ziemlich großer Wald, wir werden wohl Staffan fragen müssen.«
    »Ich finde es einfach so schrecklich. Stell dir vor, er kommt hierher.«
    »Was soll er denn hier? Obwohl, sicher. Was soll er im Judarnwald. Da kann er genauso gut hierher kommen.«
    »Oh Gott.«
    Der ältere Mann streckte sich, machte eine Bewegung, als schüttelte er etwas von den Schultern ab, sagte: »Man kann sich doch wirklich fragen, ob so jemand überhaupt noch ein Mensch ist.«
    Tommy blickte zu dem Mann auf. Yvonne sagte »Hm« und lächelte ihn an, was der Mann als Aufforderung zum Weitersprechen auffasste.
    »Ich meine … erst diese grässlichen … Untaten, und dann … in diesem Zustand, ein solcher Sturz. Nein, ich sage Ihnen: Das ist kein Mensch, und ich hoffe, die Polizei erschießt ihn an Ort und Stelle.«
    Tommy nickte, signalisierte, dass er der gleichen Meinung war.
    »Man sollte ihn am erstbesten Baum aufknüpfen.«
    Der Mann geriet in Wallung.
    »Genau. Das sage ich doch die ganze Zeit. Sie hätten ihm schon im Krankenhaus eine Giftspritze oder so etwas verpassen sollen,

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