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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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geplanter Schulausflug in den Judarnwald abgeblasen.
    Und über allem lag ein stummer Zorn darüber, dass eine Person, eine einzige Person die Macht haben sollte, das Leben so vieler Menschen zu dominieren, und zwar einzig und allein kraft ihrer Bösartigkeit und ihrer … Unsterblichkeit.
    Ja. Experten und Professoren, die hinzugezogen wurden, um in Zeitungen und Fernsehen Zeugnis abzulegen, sagten ausnahmslos das Gleiche: Der Mann konnte unmöglich leben. Auf direkte Nachfrage bekannte man allerdings im nächsten Atemzug, dass die Flucht des Mannes genauso unmöglich war.
    Ein Dozent in Danderyd hinterließ einen schlechten Eindruck in den Fernsehnachrichten, als er in einem aggressiven Tonfall erklärte: »Er war noch bis vor kurzem an einen Respirator angeschlossen. Wissen Sie, was das heißt? Es heißt, dass man nicht eigenständig atmen kann. Wenn man dann noch einen Sturz aus dreißig Meter Höhe hinzufügt …« Der Ton des Dozenten deutete an, dass der Reporter ein Idiot und die ganze Geschichte im Grunde eine Erfindung der Medien war.
    Kurzum, alles war ein riesiges Tohuwabohu aus Vermutungen, Absurditäten, Gerüchten und – natürlich – Angst. Kein Wunder, dass man trotz allem das Schafbild brachte. Es war zumindest konkret. Und so wurde das Schafbild im ganzen Land verbreitet und fand seinen Weg zu den Augen der Menschen.
     
    Lacke sah es, als er am Kiosk des Liebhabers auf dem Weg zu Gösta für seine letzten Kronen eine Schachtel Prince Denmark kaufte. Er hatte den ganzen Nachmittag geschlafen und fühlte sich wie Raskolnikow, die Welt war nebelverhangen unwirklich. Er warf einen Blick auf das Schafbild und nickte für sich. In seinem momentanen Zustand fand er es nicht weiter verwunderlich, dass die Polizei Schafe verhaftete.
    Erst auf halbem Weg zu Gösta fiel ihm das Bild wieder ein, und er dachte: »Was zum Teufel war denn das?«, hatte jedoch nicht die Energie, es herauszufinden. Er zündete sich eine Zigarette an und ging weiter.
     
    Oskar sah es, als er heimkam, nachdem er sich den Nachmittag damit vertrieben hatte, durch Vällingby zu strolchen. Als er dort aus der Bahn ausstieg, war gleichzeitig Tommy eingestiegen. Tommy war nervös, aufgewühlt und meinte, er habe »ein echt geiles Ding gedreht«, kam aber nicht mehr dazu, ihm mehr zu erzählen, ehe sich die Türen schlossen. Zu Hause lag ein Zettel auf dem Küchentisch; Mama war zu einem Abendessen mit dem Chor. Etwas zu essen stand im Kühlschrank, die Reklame war ausgeteilt, Küsschen.
    Auf der Küchenbank lag die Abendzeitung. Oskar betrachtete das Schafbild und las alles, was über die Suche geschrieben stand. Anschließend nahm er eine Sache in Angriff, bei der er in Verzug geraten war: die Artikel über den Ritualmörder aus den Zeitungen der letzten Tage auszuschneiden und aufzuheben. Er hob den Zeitungsstapel vom Putzschrank, holte Buch, Schere und Kleber und fing an.
     
    Staffan sah das Bild ungefähr zweihundert Meter von der Stelle entfernt, an der die Aufnahme gemacht worden war. Er hatte Tommy nicht erwischt und sich mit ein paar knappen Worten von einer verzweifelten Yvonne verabschiedet und nach Åkeshov begeben. Dort hatte jemand einen Kollegen, den er nicht kannte, den »Schafmann« genannt, aber er begriff erst, was gemeint gewesen war, als er einige Stunden später die Abendzeitung zu Gesicht bekam.
    Innerhalb der Polizeiführung war man über das mangelnde Taktgefühl der Zeitungen erbost, aber die meisten Polizisten vor Ort fanden das Ganze ziemlich komisch. Mit Ausnahme des »Schafmanns« natürlich. Wochenlang musste er sich immer wieder ein »bääää« oder »schöner Pulli, ist das Schurwolle?« gefallen lassen.
     
    Jonny sah es, als sein vierjähriger kleiner Bruder, kleiner Halbbruder Kalle mit einem Geschenk zu ihm kam. Ein Bauklotz, den er in die Titelseite der Zeitung vom Tage eingepackt hatte. Jonny warf den Kleinen aus dem Zimmer, erklärte, er habe keine Lust zu spielen, schloss die Tür ab. Anschließend holte er einmal mehr das Fotoalbum heraus und betrachtete die Fotografien von seinem Vater, seinem richtigen Vater, der nicht Kalles Vater war.
    Kurz darauf hörte er seinen Stiefvater mit Kalle schimpfen, weil er die Zeitung kaputtgemacht hatte. Daraufhin packte er das Geschenk aus und drehte den Bauklotz zwischen den Fingern, während er das Schafbild musterte. Er musste lachen, und die Haut am Ohr spannte. Er legte das Fotoalbum in seinen Sportbeutel, es war am sichersten, es in der Schule zu

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