Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
Fünfhundert.
    Er holte die Rolle mit den Geldscheinen aus der Tasche und reichte sie dem Jungen. Der Junge streifte das Gummiband ab, strich mit dem Zeigefinger über den Rand der zehn Papierscheine, zog das Gummiband wieder darüber und hielt die Rolle in die Höhe.
    »Why?«
    »Because … your mouth. Maybe you can … get new teeth.«
    Der Junge lächelte tatsächlich. Es war zwar kein strahlendes Lächeln, aber seine Mundwinkel gingen immerhin ein wenig hoch. Vielleicht lächelte er auch nur über Håkans Dummheit. Der Junge dachte nach, zog dann einen Tausender von der Rolle und stopfte ihn in die äußere Tasche der Jacke, die Rolle selbst in die Innentasche. Håkan nickte.
    Der Junge schloss die Tür auf, zögerte. Dann drehte er sich zu Håkan um, strich ihm über die Wange.
    »Sank you.«
    Håkan legte seine Hand auf die Hand des Jungen, presste sie an seine Wange, schloss die Augen. Wenn das doch jemand könnte.
    »Forgive me.«
    »Yes.«
    Der Junge zog seine Hand zurück. Ihre Wärme war noch auf Håkans Wange, als sich die Tür des Toilettenraums hinter ihm schloss. Håkan blieb auf der Toilette sitzen, starrte etwas an, das jemand auf den Türrahmen gekritzelt hatte.
    »WER IMMER DU BIST. ICH LIEBE DICH.«
    Gleich darunter hatte ein anderer geschrieben:
    »WILLST DU EINEN SCHWANZ?«
    Die Wärme auf seiner Wange war längst verflogen, als er zur U-Bahn ging und für seine letzten Kronen eine Abendzeitung kaufte. Vier Seiten waren dem Mord gewidmet. Unter anderem hatte man ein Bild der Mulde abgedruckt, in der er ihn verübt hatte. Sie war jetzt voller Kerzen, Blumen. Er betrachtete das Bild und empfand nicht viel.
    Wenn ihr nur wüsstet. Vergebt mir, aber wenn ihr nur wüsstet.
    *
    Auf dem Heimweg von der Schule blieb Oskar unter den beiden Fenstern stehen, die zu ihrer Wohnung gehörten. Das nächstgelegene befand sich nur zwei Meter vom Fenster seines eigenen Zimmers entfernt. Die Jalousien waren heruntergelassen und die Fenster hellgraue Rechtecke, umrahmt von dunkelgrauem Beton. Das sah verdächtig aus. Vermutlich war es eine … seltsame Familie.
    Fixer.
    Oskar schaute sich um, betrat anschließend das Haus und betrachtete die Tafel mit den Namen der Mieter. Fünf Nachnamen, die säuberlich mit Plastikbuchstaben buchstabiert waren. Ein Platz war leer. Der Name, der dort früher gestanden hatte, »HELLBERG«, war dort so lange gewesen, dass er sich als eine dunklere Kontur von der sonnengebleichten Samttafel absetzte. Aber es gab keine neuen Plastikbuchstaben. Nicht einmal einen Zettel.
    Er joggte die beiden Treppen zu ihrer Tür hinauf. Dort war es das Gleiche. Nichts. Das Namensschild des Briefeinwurfs war ohne Buchstaben. Als wäre die Wohnung unbewohnt.
    Hatte sie etwa gelogen? Vielleicht wohnte sie ja überhaupt nicht hier. Aber sie war doch in dieses Haus gegangen. Sicher. Aber das hätte sie so oder so tun können. Wenn sie – Im Erdgeschoss öffnete sich die Haustür.
    Er wandte sich von der Tür ab und ging rasch die Treppen hinab.
    Hauptsache, es war nicht sie. Sodass sie womöglich auf die Idee kam, dass er … Aber sie war es nicht.
    Auf halbem Weg die zweite Treppe hinunter begegnete Oskar einem Mann, den er noch nie gesehen hatte. Einem kleinen, relativ korpulenten Mann, der eine Halbglatze hatte und so breit lächelte, dass es nicht mehr normal war.
    Der Mann erblickte Oskar, hob den Kopf und nickte, den Mund nach wie vor zu diesem Zirkuslächeln verzogen.
    Unten in der Tür blieb Oskar stehen, lauschte. Er hörte, dass ein Schlüssel herausgezogen und eine Tür geöffnet wurde. Ihre Tür. Der Mann war also vermutlich ihr Vater. Oskar hatte zwar noch nie einen so alten Fixer gesehen, aber der Mann sah wirklich total krank aus.
    Kein Wunder, dass sie verrückt war.
    Oskar ging zum Spielplatz, setzte sich auf den Rand des Sandkastens und behielt ihr Fenster im Auge, um zu sehen, ob die Jalousien hochgezogen wurden. Sogar das Badezimmerfenster schien von innen abgedeckt zu sein; die milchige Glasscheibe war dunkler als bei den anderen Badezimmerfenstern.
    Er holte seinen Zauberwürfel aus der Jackentasche. Es knackte und knirschte, wenn man an ihm drehte. Eine Kopie. Das Original ließ sich wesentlich leichter drehen, kostete aber fünf Mal so viel und war nur in dem gut bewachten Spielzeuggeschäft in Vällingby erhältlich.
    Zwei Seiten hatte er gelöst, und auf der dritten fehlte ihm nur noch ein einziges, lächerliches Quadrat. Aber man bekam die richtige Farbe nicht an die richtige

Weitere Kostenlose Bücher