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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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misstrauisch?
    »Wohnst du hier?«
    Oskar nickte. Er hatte den Polizisten noch nie gesehen, aber er sah ziemlich nett aus. Nein. Er hatte ein Gesicht, das Oskar normalerweise nett gefunden hätte. Der Polizist zupfte an seiner Nase, sagte:
    »Tja, es ist nämlich so, dass hier … etwas passiert ist. In der Nachbarschaft. Deshalb mache ich hier die Runde und frage alle, ob jemand etwas gehört hat. Oder gesehen.«
    »In welchem … welchem Haus?«
    Der Polizist machte eine Kopfbewegung zu Tommys Haus und Oskars Panik legte sich ein wenig.
    »In dem da. Aber nicht im Treppenhaus, sondern … im Keller. Du hast dort nicht zufällig etwas gehört oder etwas Ungewöhnliches bemerkt? In den letzten Tagen?«
    Oskar schüttelte den Kopf. Die Gedanken schossen ihm derart chaotisch durch den Kopf, dass er im Grunde gar nichts dachte, aber es war ihm, als würden seine Augen, deutlich sichtbar für den Polizisten, vor Angst förmlich sprühen. Und der Polizist legte tatsächlich den Kopf schief und betrachtete ihn forschend.
    »Wie geht es dir?«
    »… gut.«
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist … jetzt vorbei. Es gibt also nichts, weshalb du dir Sorgen machen müsstest. Sind deine Eltern zu Hause?«
    »Nein. Mama. Nein.«
    »Okay. Ich werde sicher noch einmal vorbeikommen, du kannst also in Ruhe überlegen, ob du vielleicht doch etwas gesehen hast.«
    Der Beamte hielt ihm die Tür auf. »Nach dir.«
    »Nein, ich will noch kurz …«
    Oskar machte kehrt und gab sich alle Mühe, ganz natürlich zu wirken, als er den Hang hinabging. Auf halbem Weg drehte er sich um und sah den Polizisten ins Haus gehen.
    Sie haben Eli geschnappt.
    Seine Kiefer begannen zu zittern, und die Zähne klackerten ein unverständliches Morsesignal durchs Knochengerüst, während er die Tür zu Elis Haus aufzog, die Treppen hinaufstieg. Würden sie diese Bänder vor Elis Tür gespannt, sie abgesperrt haben?
    Sag, dass ich hereinkommen darf.
    Die Tür stand einen Spaltbreit offen.
    Wenn die Polizei hier gewesen war, warum hatten sie dann die Tür offen gelassen? Das machten sie doch bestimmt nicht. Er legte die Finger auf die Klinke, schob die Tür vorsichtig auf, schlich in den Flur. In der Wohnung war es dunkel, und er stieß mit dem Fuß gegen etwas. Eine Plastikflasche. Im ersten Moment dachte er, es wäre Blut in der Flasche, dann aber sah er, dass es rotgefärbter Brennspiritus war.
    Atemgeräusche.
    Jemand atmete.
    Bewegte sich.
    Das Geräusch kam aus dem Flur, der zum Badezimmer führte. Oskar ging ganz vorsichtig darauf zu, machte immer nur einen Schritt auf einmal, zog die Lippen nach innen, um die Zähne verstummen zu lassen, woraufhin sich das Zittern zu seinem Kinn, in seinen Hals hinab verschob, an dem ersten Ansatz eines Adamsapfels ruckte. Er bog um die Ecke, schaute zum Badezimmer.
    Das ist kein Polizist.
    Ein Mann in schäbigen Kleidern kniete neben der Badewanne, sein Oberkörper lehnte sich über die Wanne, lag außerhalb von Oskars Blickfeld. Er sah nur eine schmutzige, graue Hose, ein Paar löchriger Schuhe, deren Spitzen auf den gekachelten Boden wiesen. Den Saum eines Mantels.
    Der Typ!
    Aber er … atmet.
    Ja. Keuchendes Aus- und Einatmen, an Seufzer erinnernd, schallte aus dem Badezimmer herüber, und Oskar schlich sich, ohne zu denken, näher heran. Stück für Stück sah er mehr von dem Badezimmer und hatte es fast erreicht, als er erkannte, was dort geschah.
     
    Lacke schaffte es nicht.
    Der Körper auf dem Boden der Badewanne sah vollkommen kraftlos aus, atmete nicht. Er hatte die Hand auf seine Brust gelegt und festgestellt, dass das Herz schlug, allerdings nur wenige Schläge in der Minute.
    Er hatte etwas … Furchteinflößendes erwartet. Etwas, das auf einer Ebene mit dem Grauen war, das er im Krankenhaus erlebt hatte. Aber dieser kleine, blutige Fetzen von einem Menschen sah nicht aus, als könnte er jemals wieder aufstehen, geschweige denn einem anderen Schaden zufügen. Es war doch nur ein Kind. Ein verletztes Kind.
    Als hätte man mitangesehen, wie jemand, den man liebt, vom Krebs zu Tode gequält wurde, um danach unter dem Mikroskop eine Krebszelle zu betrachten. Nichts. Das da? Das hatte es getan? Dieses winzige Ding?
    Zerstöre mein Herz.
    Er schluchzte auf und ließ den Kopf fallen, sodass er mit einem dumpfen, hallenden Knall gegen den Badewannenrand schlug. Er konnte. Einfach. Kein Kind töten. Ein schlafendes Kind. Das ging einfach nicht. Ganz gleich …
    So hat es überlebt.
    Es. Es. Nicht Kind.

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