So finster die Nacht
drei Mal, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche. Er zog sich weiter an. Heute konnten von ihm aus fünf Reklamezettel zu jeder Wurfsendung gehören, wenn es denn sein musste. Es würde trotzdem laufen wie am Schnürchen.
*
Das Zimmer roch nach Zigarettenrauch, und Staubpartikel tanzten in den Sonnenstrahlen, die zwischen den Lamellen der Jalousien hereinfielen. Die Staubkörner führten vor seinen Augen ein lustiges Tänzchen auf. Raucherhusten. Er drehte sich im Bett, griff nach dem Feuerzeug und der Zigarettenschachtel, die neben einem randvollen Aschenbecher auf dem Nachttisch lagen.
Er nahm sich eine Zigarette – Camel light, Virginia achtete auf ihre alten Tage auf die Gesundheit –, zündete sie an, legte sich, den Arm unter den Kopf geschoben, wieder auf den Rücken, rauchte und dachte nach.
Virginia war einige Stunden zuvor, vermutlich noch ziemlich müde, arbeiten gegangen. Sie hatten lange wach gelegen, nachdem sie sich geliebt hatten, geredet und geraucht. Es war schon fast zwei Uhr gewesen, als Virginia die letzte Zigarette ausdrückte und erklärte, es sei allmählich Zeit zu schlafen. Lacke war nach einer Weile fortgeschlichen, hatte die letzten Schlucke aus der Weinflasche getrunken und zwei weitere Zigaretten geraucht, ehe auch er sich schlafen legte. Vielleicht vor allem, weil er das so gerne tat; sich an einen warmen, schlafenden Körper zu schmiegen.
Es war schade, dass er es nicht schaffte, immer jemanden neben sich zu haben. Wenn überhaupt, wäre dieser jemand Virginia gewesen. Außerdem … verdammt, er hatte über Umwege erfahren, wie es ihr inzwischen ging. Es gab Phasen, in denen sie sich in der Stadt sinnlos betrank, irgendwelches Gesindel nach Hause abschleppte. Sie wollte nicht darüber sprechen, aber sie war stärker gealtert als nötig in den letzten Jahren.
Konnten er und Virginia … ja, was? Alles verkaufen, ein Haus auf dem Land kaufen, Kartoffeln anbauen. Sicher, aber das würde doch nie und nimmer funktionieren. Nach einem Monat würden sie sich gegenseitig auf die Nerven gehen, und sie hatte doch auch noch ihre Mutter hier, ihren Job, und er hatte … nun ja … seine Briefmarken.
Niemand wusste davon, nicht einmal sein Schwesterherz, weshalb er ein ziemlich schlechtes Gewissen hatte.
Es hatte sich herausgestellt, dass die Briefmarkensammlung seines Alten, die nicht in die Erbmasse aufgenommen worden war, ein kleines Vermögen wert war. Wenn er Geld brauchte, hatte er jedes Mal ein paar Marken verkauft.
Im Moment waren die Preise für Briefmarken im Keller, und er hatte auch nicht mehr viele übrig. Bald würde er so oder so gezwungen sein, sie zu verkaufen. Vielleicht sollte er diese ganz besonderen verkaufen, Norwegen Nummer eins, und sich für all die Biere revanchieren, die er in der letzten Zeit zusammengeschnorrt hatte. Das sollte er tun.
Zwei Häuser auf dem Land. Sommerhäuschen. Die nahe beieinander lagen. Solche Sommerhäuser kosteten doch fast nichts. Und dann natürlich noch eins für Virginias Alte. Drei Häuschen. Und für die Tochter, Lena. Vier. Sicher. Kauf doch gleich ein ganzes Dorf, wenn du schon einmal dabei bist.
Virginia war nur glücklich, wenn sie mit Lacke zusammen war, das hatte sie selber gesagt. Lacke wusste nicht, ob er überhaupt noch fähig war, glücklich zu sein, aber Virginia war der einzige Mensch, mit dem er wirklich gerne zusammen war. Warum sollten sie das also nicht irgendwie hinbekommen?
Lacke setzte sich den Aschenbecher auf den Bauch, aschte hinein, zog an der Zigarette.
Der einzige Mensch, mit dem er jetzt gerne zusammen war. Seit Jocke … verschwunden war. Jocke war in Ordnung gewesen. Der Einzige, den er aus seinem Bekanntenkreis einen Freund nannte. Es war wirklich zum Heulen, dass sein Körper verschwunden war. Das war einfach wider die Natur. Es musste eine Beerdigung geben. Es musste eine Leiche geben, die man anschauen konnte, um zu konstatieren: Ja, ja, dort liegst du, mein Freund. Und du bist tot.
Lacke stiegen Tränen in die Augen.
Die Leute hatten immer so verdammt viele Freunde, warfen mit dem Wort nur so um sich. Er hatte einen gehabt, einen einzigen, und ausgerechnet der sollte ihm von irgendeinem kaltblütigen Halbstarken genommen werden. Warum zum Teufel hatte dieses Kind Jocke getötet?
Aus irgendeinem Grund wusste er, dass Gösta nicht log oder sich eine Geschichte ausgedacht hatte, und Jocke war ja auch wirklich verschwunden, aber das Ganze erschien ihm so verdammt sinnlos. Der einzige
Weitere Kostenlose Bücher