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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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schraubte weiter. Er suchte seine zweite Hand, nahm jedoch nur einen stechenden Ball aus Schmerz wahr, wo seine Hand hätte sein sollen. An den Fingerspitzen seiner lebendigen Hand spürte er nun einen leichten, flatternden Druck. Luft begann aus dem Anschluss zu sickern, das zischende Geräusch veränderte sich, wurde dünner.
    Das graue Licht um ihn herum vermischte sich mit blinkendem Rot. Er versuchte sein einziges Auge zu schließen, dachte an Sokrates und den Schierlingsbecher. Weil er die Jugend Athens verführt hatte. Vergesset nicht, einen Hahn zu geben dem … wie war noch sein Name? Archimandros? Nein …
    Ein saugendes Geräusch ertönte, als die Tür aufgeschoben wurde und sich eine weiße Gestalt auf ihn zu bewegte. Er spürte Finger, die seine Finger aufbogen, den Schlauchanschluss seinem Griff entwanden. Die Stimme einer Frau.
    »Was tun Sie da?«
    Äskulap. Opfert einen Hahn dem Äskulap.
    »Lassen Sie los!«
    Einen Hahn. Dem Äskulap. Dem Gott der Heilkunst.
    Ein Schnaufen, Keuchen, als seine Finger fortgerissen wurden und sie den Schlauch wieder festschraubte.
    »Jemand wird Sie im Auge behalten müssen.«
    Opfert ihm den Hahn und vergesset es nicht.
    *
    Als Oskar aufwachte, war Eli fort. Er lag mit dem Gesicht zur Wand, kalte Luft zog seinen Rücken herab. Er stützte sich auf den Ellbogen, schaute sich im Zimmer um. Das Fenster stand einen Spaltbreit offen. Auf dem Weg musste sie gegangen sein.
    Nackt.
    Er rollte sich im Bett herum, presste das Gesicht auf die Stelle, an der sie gelegen hatte, schnüffelte. Nichts. Er glitt mit der Nase über das Laken, versuchte den kleinsten Funken ihrer Gegenwart zu finden, aber vergeblich. Nicht einmal der Benzingeruch war geblieben.
    War das wirklich passiert? Er legte sich auf den Bauch und horchte in sich hinein.
    Ja.
    Da waren sie. Ihre Finger auf seinem Rücken. Die Erinnerung an ihre Finger auf seinem Rücken. Holterdipolter. Mama hatte dieses Spiel mit ihm gespielt, als er noch klein war. Aber das war jetzt gewesen. Vor kurzem. Die Haare auf seinen Armen und in seinem Nacken sträubten sich.
    Er stieg aus dem Bett, begann sich anzuziehen. Als er die Hose hochgezogen hatte, ging er zum Fenster. Es schneite nicht mehr. Vier Grad unter null. Gut. Hätte der Schnee angefangen zu schmelzen, wäre es zu matschig, um die Papptüten mit den Reklamezetteln vor den Hauseingängen abzustellen. Er stellte sich vor, bei vier Grad unter null nackt aus einem Fenster zu steigen, zwischen schneebedeckte Sträucher, in den …
    Nein.
    Er lehnte sich vor, blinzelte.
    Der Schnee auf den Sträuchern war vollkommen unberührt.
    Gestern Abend hatte er hier gestanden und diese saubere Bahn aus Schnee betrachtet, die bis zur Straße hinablief. Sie sah noch genauso aus wie gestern. Er öffnete das Fenster noch etwas mehr, schob den Kopf hinaus. Die Sträucher wuchsen unter seinem Fenster bis dicht an die Wand, die Schneedecke reichte genauso weit. Sie war unberührt.
    Oskar schaute nach rechts, an der rauen Außenwand entlang. Drei Meter weiter lag ihr Fenster.
    Kalte Luft strich über Oskars nackte Brust. Es musste im Laufe der Nacht, nachdem sie gegangen war, geschneit haben. Das war die einzige Erklärung. Aber Moment mal … jetzt, da er darüber nachdachte: Wie war sie eigentlich zu seinem Fenster hinaufgekommen? War sie auf die Sträucher geklettert?
    Aber dann konnte die Schneedecke doch nicht mehr so aussehen? Es hatte nicht geschneit, als er ins Bett gegangen war. Ihr Körper und ihre Haare waren nicht feucht gewesen, als sie zu ihm kam, also hatte es um die Zeit auch nicht geschneit. Wann war sie gegangen?
    Zwischen dem Moment, in dem sie gegangen war, und jetzt musste folglich genügend Schnee gefallen sein, um alle Spuren zu verdecken …
    Oskar schloss das Fenster, zog sich weiter an. Es war unfassbar, und er neigte wieder mehr zu der Ansicht, dass alles nur ein Traum gewesen war. Dann sah er den Zettel, der zusammengefaltet unter der Uhr auf seinem Schreibtisch lag. Er nahm ihn, faltete ihn auseinander.
    »FENSTER, DEN TAG LASS EIN, DAS LEBEN LASS HINAUS.«
    Ein Herz, und darunter:
    »BIS HEUTE ABEND. ELI.«
    Er las sich den Zettel fünf Mal durch. Dann dachte er an sie, wie sie ihn vor dem Schreibtisch stehend geschrieben hatte. Gene Simmons Gesicht hing einen halben Meter dahinter, die Zunge herausgestreckt.
    Er lehnte sich über den Schreibtisch, nahm das Poster von der Wand, zerknüllte es und warf es in den Papierkorb.
    Dann las er den kleinen Zettel noch

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