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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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dass Larry ein Paar dicke Handschuhe anhatte, wurde ihm bewusst, wie kalt seine Hände waren, und er schob sie mit etwas Mühe in die engen Jeanstaschen. Vor ihnen tauchte die Brücke auf, unter der Jocke verschwunden war.
    Möglicherweise um nicht darüber zu sprechen, sagte Larry:
    »Hast du heute schon die Zeitung gelesen? Jetzt sagt der Premierminister, dass die Russen an Bord dieses U-Boots Atomwaffen haben.«
    »Was hat er denn gedacht, was sie dabei haben? Schleudern?«
    »Nein, aber … es liegt da doch schon seit einer Woche. Stell dir mal vor, es hätte geknallt.«
    »Da mach dir mal keine Sorgen. Die Russen wissen schon, was sie tun.«
    »Also ich bin ja nun kein Kommunist …«
    »Ich doch auch nicht.«
    »Nicht, sieh an. Und wen hast du bei der letzten Wahl gewählt? Etwa die Liberalen?«
    »Na, jedenfalls keine Moskautreuen.«
    Dieses Wortgefecht lieferten sie sich nicht zum ersten Mal. Jetzt wiederholten sie es, um das andere nicht sehen, nicht daran denken zu müssen, als sie sich dem Brückengewölbe näherten. Trotzdem verstummten ihre Stimmen, als sie unter den Brückenbogen traten und stehen blieben. Beide hatten das Gefühl, der jeweils andere hätte zuerst innegehalten. Sie betrachteten die Blätterhaufen, die inzwischen zu Schneehaufen geworden waren und Formen andeuteten, die beide unangenehm berührten. Larry schüttelte den Kopf.
    »Verdammt, was soll man nur tun?«
    Morgan vergrub die Hände tiefer in den Taschen, stampfte mit den Füßen auf, um sie zu wärmen.
    »Außer Gösta kann da keiner was tun.«
    Beide blickten zu der Wohnung hinauf, in der Gösta wohnte. Keine Gardinen, eine schmutzige Fensterscheibe. Larry hielt Morgan eine Zigarettenschachtel hin. Er nahm sich eine heraus, und Larry nahm sich auch eine, zündete beide an. Sie standen da und rauchten, betrachteten die Schneehaufen. Nach einer Weile wurden sie von jugendlichen Stimmen aus ihren Gedanken gerissen.
    Eine Gruppe von Kindern mit Schlittschuhen und Helmen in den Händen näherte sich von der Schule kommend und wurde von einem Mann mit militärischem Äußeren angeführt. Die Kinder gingen im Abstand von einem Meter, bewegten sich fast schon im Gleichschritt. Sie gingen unter der Brücke an Morgan und Larry vorbei. Morgan nickte einem Jungen zu, den er vom Hinterhof seines Mietshauses kannte.
    »Zieht ihr in den Krieg, oder was?«
    Das Kind schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen, trabte dann jedoch weiter, weil es fürchtete, aus der Reihe zu tanzen. Die Kinder gingen Richtung Krankenhaus; machten offenbar einen Ausflug oder so. Morgan trat seine Zigarette aus, formte mit den Händen einen Trichter um den Mund und rief:
    »Luftangriff! In Deckung!«
    Larry lachte kollernd, warf seine Zigarette fort.
    »Großer Gott. Dass es immer noch solche Typen gibt. Der verlangt bestimmt, dass die Jacken auf dem Flur in Habachtstellung hängen. Du kommst nicht mit?«
    »Nee. Keinen Bock. Aber halt dich ran, vielleicht kannst du noch zu der Reihe da vorn aufschließen.«
    »Man sieht sich.«
    »Ja genau.«
    Sie trennten sich unter der Brücke. Larry verschwand mit langsamen Schritten in der gleichen Richtung wie die Kinder, und Morgan stieg die Treppen hinauf. Mittlerweile war er ganz durchgefroren. Tütensuppe war trotz allem nicht das Schlechteste, wenn man ein wenig Milch hinzugab.
    *
    Oskar ging neben seiner Lehrerin. Er musste mit jemandem sprechen, und seine Lehrerin war die Einzige, die ihm einfiel. Trotzdem hätte er die Gruppe gewechselt, wenn er gekonnt hätte. Jonny und Micke gesellten sich sonst nie zu der Gruppe, die einen Spaziergang machte, wenn Ausflugstag war, aber heute hatten sie es getan. Sie hatten am Morgen die Köpfe zusammengesteckt, Blicke in seine Richtung geworfen.
    Deshalb ging Oskar neben der Lehrerin. Er wusste selber nicht recht, ob er es tat, um ihren Schutz zu suchen, oder um sich mit einem Erwachsenen unterhalten zu können.
    Er war jetzt seit fünf Tagen mit Eli zusammen. Sie trafen sich jeden Abend hinter dem Haus. Mama sagte er, er würde mit Johan spielen.
    Gestern Nacht war Eli wieder zu seinem Fenster gekommen. Sie hatten lange wach gelegen, sich Geschichten erzählt, bei denen der eine dort weitersponn, wo der andere aufhörte. Danach waren sie eng umschlungen eingeschlafen, und am Morgen war Eli fort gewesen.
    In seiner Hosentasche, neben dem alten, abgegriffenen, zerlesenen Zettel lag nun ein neuer, den er heute Morgen auf seinem Schreibtisch gefunden hatte, als er seine Schulsachen

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