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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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sie schmäler wurden, sich umformten. Das Skelett knirschte in den Fingern, wenn es sich ausdehnte, durch die schmelzende Haut der Fingerspitzen schoss und lange, gekrümmte Krallen herausbildete. Gleiches geschah mit den Zehen.
    Eli sprang zwei Meter hoch den Stamm hinauf, schlug die Krallen hinein und kletterte zu einem dicken Ast hinauf, der über dem Weg hing. Krümmte die Krallen der Füße um den Ast und blieb regungslos hocken.
    Ein Ziehen in den Wurzeln der Zähne, als Eli sie scharf dachte. Die Zahnkronen beulten sich nach außen, wurden von einer unsichtbaren Feile geschliffen, spitz. Eli biss sich vorsichtig in die Unterlippe, und eine halbmondförmige Reihe von Nadeln punktierte beinahe die Haut. Jetzt hieß es nur noch warten.
    *
    Es war schon fast zehn, und die Temperatur im Raum wurde allmählich unerträglich. Zwei Flaschen Schnaps waren geleert worden, eine neue stand auf dem Tisch, und alle waren sich einig, dass Gösta schwer in Ordnung war und man ihm das niemals vergessen würde.
    Einzig Virginia hatte sich beim Alkohol zurückgehalten, da sie am nächsten Morgen früh aufstehen und arbeiten gehen musste. Sie schien zudem die Einzige zu sein, der die Luft im Raum etwas ausmachte. Der schon vorher stickige Geruch aus Katzenpisse und verbrauchter Luft hatte sich inzwischen mit Rauch, Schnapsfahnen und den Ausdünstungen von sechs Körpern vermischt.
    Lacke und Gösta saßen nach wie vor links und rechts von ihr auf der Couch, mittlerweile jedoch halb weggetreten. Gösta streichelte eine Katze auf seinem Schoß, eine schielende Katze, was Morgan zu solchen Lachanfällen animiert hatte, dass er mit dem Kopf gegen den Tisch geschlagen war und anschließend ein Glas unverdünnten Schnaps getrunken hatte, um den Schmerz zu betäuben.
    Lacke sagte nicht viel. Er saß die meiste Zeit nur da und stierte vor sich hin, während seine Augen immer trüber wurden. Ab und zu bewegten sich seine Lippen lautlos, als unterhalte er sich mit einem Gespenst.
    Virginia stand auf, trat ans Fenster. »Kann ich das Fenster ein bisschen aufmachen?«
    Gösta schüttelte den Kopf.
    »Die Katzen … könnten … rausspringen.«
    »Aber ich stehe doch hier und passe auf.«
    Gösta schüttelte rein automatisch weiter den Kopf, und Virginia öffnete das Fenster. Luft! Gierig atmete sie die unbefleckte Luft ein und fühlte sich augenblicklich besser. Lacke, der auf der Couch seitlich in die Lücke sackte, die Virginia hinterlassen hatte, setzte sich jetzt wieder auf und sagte laut:
    »Ein Freund! Ein wahrer … Freund!«
    Zustimmendes Gemurmel erhob sich im Raum. Alle begriffen, dass er Jocke gemeint hatte. Lacke starrte das leere Glas in seiner Hand an und fuhr fort.
    »Man hat einen Freund … der einen niemals im Stich lässt. Und das wiegt alles auf. Hört ihr? Alles! Und kapiert ihr, Jocke und ich, wir waren … so!«
    Er ballte die Hand zur Faust, schüttelte sie vor seinem Gesicht.
    »Und das kann durch nichts ersetzt werden. Durch nichts! Ihr sitzt hier und labert so Sachen wie, verdammt feiner Kerl, aber ihr … ihr seid nur leer. Wie Schalen! Ich habe nichts mehr, jetzt wo Jocke … fort ist. Nichts. Also erzählt mir nichts von Verlust, erzählt mir nichts von …«
    Virginia stand am Fenster und hörte zu. Sie ging zu Lacke, um ihn daran zu erinnern, dass es sie auch noch gab. Ging vor ihm in die Hocke, versuchte seinem Blick zu begegnen, setzte an: »Lacke …«
    »Nein! Komm mir jetzt bloß nicht mit … ›Lacke, Lacke‹ … es ist einfach so. Du kapierst das nicht. Du bist … kalt. Du fährst in die Stadt und schnappst dir irgend so einen verdammten Fernfahrer, nimmst ihn mit nach Hause und lässt dich von ihm überfahren, wenn dir alles zu schwer wird. Das tust du. Ein verdammter … Fernfahrerkonvoi, der da losfährt. Aber ein Freund … ein Freund …«
    Virginia richtete sich mit Tränen in den Augen auf, gab Lacke eine Ohrfeige und lief aus der Wohnung. Lacke kippte auf der Couch um und schlug gegen Göstas Schulter. Gösta murmelte: »Das Fenster, das Fenster …«
    Morgan schloss es, sagte: »Klasse Lacke. Das hast du ja toll hingekriegt. Die siehst du nie wieder.«
    Lacke stand auf, ging auf schwankenden Beinen zu Morgan, der aus dem Fenster sah. »Ach scheiße, ich wollte sie doch nicht …«
    »Nee, ist klar. Aber sag das mal lieber ihr.«
    Morgan nickte nach unten, wo Virginia gerade aus der Tür trat und mit schnellen Schritten und gesenktem Blick Richtung Park ging. Lacke hörte, was er gesagt

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