So finster, so kalt
überlasse das dir, ob du bei der Suche helfen möchtest. Jedes Paar Augen mehr kann den entscheidenden Hinweis finden. Ich würde dir dennoch abraten.« Er stand gebeugt – unschlüssig, matt, unendlich müde. »Du entschuldigst mich. Ich möchte mit Sarah telefonieren. Sie sollte erfahren, was mit Luke passiert ist, bevor es durch die Presse geht.«
Und damit ließ er Jakob einfach stehen.
Der nahm seinen Rucksack ab und setzte sich seinerseits auf die Bank. Was würde er jetzt für eine Zigarette geben. Er hätte das Rauchen niemals freiwillig aufgegeben, wenn ihm der Arzt nicht damit gedroht hätte, dass er seinen Geruchssinn völlig verlieren würde. Der Preis war ihm zu hoch gewesen, aber in Momenten wie diesen meldete sich die vertraute Sucht.
Er mochte Björn und Sarah, die Merle viel ähnlicher war, als vermutlich irgendeiner der drei zugegeben hätte. Merle hätte gut zu Björn gepasst. Sie hatte ihm erzählt, dass sie nach Hamburg gegangen war, weil ihre Mutter von dort stammte. Trotzdem konnte er nur schwer nachvollziehen, dass sie das hier alles aufgegeben hatte.
Er erlaubte sich ein kleines Lächeln. Umso besser für ihn, sonst hätte er sie vermutlich nicht kennengelernt.
Kurz darauf brachte Björn ihn zum Hof, brach selbst unverzüglich erneut zur Sammelstelle auf, und Jakob folgte einer älteren Frau, die man einst wohl als Magd bezeichnet hätte, in eines der Gästezimmer. Auch einige der Hundeführer, die aus ganz Deutschland angereist waren, übernachteten hier, waren jedoch derzeit alle unterwegs.
Jakob war allein.
Nachdem er sein Bett bezogen und dem dringenden Bedürfnis, Merle anzurufen, widerstanden hatte, wanderte er ziellos über den Hof. Die gesamte Anlage war eine wunderschöne Ansammlung instandgesetzter alter Gebäude und behutsam ergänzter Neubauten. An drei Seiten zogen sich umzäunte Weiden über die sanften Hügel bis hinab ins Dorf, von dem von hier oben aus nur der Kirchturm zu erkennen war.
Jakob wandte sich dem Wald zu, dessen alte Tannen unmittelbar hinter dem Hof aufragten und bis zur Kuppe des Steinbergs reichten. Dort unter den Zweigen war der Weg zu Merles Häuschen, und ohne dass er sich bewusst geworden war, überhaupt losgegangen zu sein, fand er sich kurz darauf dort wieder. Sein Blick wanderte die hohen Baumstämme entlang. Alles lag friedlich. Nach kurzem Zögern entschied er sich, noch einmal auf eigene Faust in den Wald zu gehen. Dass er dabei gesehen werden und sich noch verdächtiger machen konnte, als es ohnedies schon der Fall war, kümmerte ihn nicht. Aber er würde einen Bogen um Merles Häuschen machen. Die Gegend war ausreichend oft abgesucht worden, und er glaubte auch, dort alles gesehen zu haben, was er wissen musste. So folgte er einem Wildpfad oberhalb der Hütte.
Die Spuren der Menschen und Hunde, die das Gelände durchkämmt hatten, waren deutlich zu sehen. Überall entdeckte er zertrampelten Farn, durchwühltes Unterholz oder abgeknickte tiefhängende Zweige. Je weiter er lief, umso mehr fiel ihm die Stille auf. Nur ab und zu geckerte eine Elster durch die Tannenwipfel. Jakob schaute sich um. Es wäre unmöglich, sich hier zu verirren, schon gar nicht für Ronja, die hier aufgewachsen war. Was hatte sie fortgelockt? Wonach sollte er Ausschau halten?
Er musste den Blickwinkel ändern. Er sollte nicht offen jagen, sondern pirschen, lauern, lauschen. Jakob blieb stehen, fand einen umgekippten Baum, breitete seine Jacke darauf aus, setzte sich und verschmolz mit dem Wald um sich herum. Keine Bewegung, kein Laut. Allein der modrige Geruch nach Blättern und feuchtem Holz beherrschte seine Sinne. Hier unter den Bäumen wurde es schnell dunkler und kühler. Jakob drängte seine gesamten Empfindungen zurück. Die letzten Strahlen der Sonne wanderten über den Waldboden.
Wieder schrie ein Rabenvogel, und dann rauschte ein ganzer Schwarm als eine einzige dunkle Wolke durch die Bäume. Er flog hangabwärts, grob in Richtung von Merles Häuschen, soweit Jakob das ausmachen konnte.
Er blieb noch eine Weile unbewegt sitzen. Als sich nichts mehr rührte, folgte er der Richtung, die die Vögel eingeschlagen hatten. So lautlos wie möglich huschte er von Baum zu Baum, achtete auf herumliegende Zweige, nutzte Schatten. Nur seinen angespannten Sinnen war es zu verdanken, dass er nicht mitten in den Schwarm hineinlief. Im letzten Augenblick blieb er hinter einem Baum stehen und spähte auf unzählige Tiere, die sich wie ein schwarzer Teppich auf dem
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