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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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weggedrückt. Einige Sekunden später erhielt sie eine SMS :
In Besprechung für neues Mandat Frohn. Rufe zurück. LG Volker
    Merle starrte auf die Zeilen, bis sie begriff, dass es um diese Erbschaftssache gehen musste, die Frohn ihr nach dem Prozess angeboten hatte. Hamburg und die Arbeit in der Kanzlei schienen Lichtjahre entfernt zu sein. Es war unvorstellbar, in dieses Leben zurückzukehren. Was auch immer kommen mochte, dieses Kapitel war abgeschlossen.
    Nicht nötig,
tippte sie zur Antwort.
Ich kündige, werde vorläufig hierbleiben. Melde mich später wieder!
    Der Akku ihres Telefons war ohnehin beinahe leer. Bis Volker zurückrufen würde, war es vermutlich bereits ausgegangen.
    Seine Antwort war knapp, aber herzlich:
Ahnte so was. OK! Alles Gute, aber meld dich bald!
    Merle atmete tief durch und empfand trotz aller Betäubung Erleichterung. Sie hatte genug Erspartes und war niemandem verpflichtet. Sie konnte sich eine Auszeit gönnen und in Ruhe darüber nachdenken, wie es beruflich weitergehen sollte. Dieser Teil ihres Lebens war einfach zu bewältigen. Und der Rest? Ungewollt kamen die Erinnerungen, und vor ihrem geistigen Auge blitzte ein Bild auf: ihre geliebte Märchenomi, die munter singend durch die Küche wippte und kochte oder buk. Dabei trug sie ein geblümtes einteiliges Kleid, eine graue Strickjacke und ein Kopftuch. Omi hatte so viel mitgemacht und sich nie dieser Melancholie des Vergangenen hingegeben. Sie musste sich an ihr ein Beispiel nehmen.
    Das Andenken an ihren Vater wollte sie so wie bei ihrem letzten Gespräch vor ein paar Tagen bewahren. Wie er in der kanadischen Hütte gesessen hatte, mit vor Freude blitzenden Augen, dem jungenhaften Grinsen, diesem schrecklichen Holzfällerhemd und der noch idiotischeren Baseballkappe, die er zum Abschied geschwenkt und aufgesetzt hatte. Er hatte unmöglich ausgesehen! Und glücklich.
    Merle lächelte traurig und pickte in ihrem Kuchen, ohne davon zu essen.
    Was war mit Jakob? Hatte er sich nun als böser Wolf entpuppt? Merle war klar, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, sich zu erklären. Sie rechnete ihm hoch an, dass er sie in dem Moment, als die Polizei angerufen hatte, in Frieden gelassen hatte. Sie hätte seine Annäherung, und sei es nur, um sie trösten zu wollen, nicht ertragen. Er respektierte sie, und das sprach sehr für ihn. Aber was trieb ihn an? Was wusste er? Merle nippte an ihrem Kaffee und aß etwas Kuchen, ohne dass sie hätte sagen können, wonach er schmeckte.
    Ihr erster Gedanke, dass Jakob mit dem Greta-Wesen unter einer Decke stecken könnte, kam ihr inzwischen lächerlich vor. Das war wirklich zu weit hergeholt. Jakob hatte schon recht:
Sie
hatte mit
ihm
Kontakt aufgenommen. Ja, er hatte von Anfang an großes Interesse an dem Haus gezeigt. Aber wenn er im Vorfeld von ihr und Omis Häuschen gewusst hätte, wäre er sicherlich früher auf die Familie zugekommen. Er hätte kaum abgewartet, bis sie, Omi oder Papa ihn angesprochen hätte. Der gesamte Gedankengang war absurd.
    Aber konnte sie ihm deshalb trauen?
    Merle dachte an seinen weichen Blick, an die tröstenden Umarmungen nach ihren Alpträumen. Sie hatte damals von einem Wolf geträumt. Auch da war ihr Unterbewusstsein schon weiter gewesen, als ihre Ratio es zulassen wollte. In ihrem Inneren hatte sie schließlich seit Kindertagen gewusst, dass das Übernatürliche existierte.
    Aber war an Jakob Wolff etwas Übernatürliches?
    Er besaß ein manchmal etwas raubtierhaftes Auftreten. Zum Beispiel in jener Situation, als er ihr im
El Gaucho
diesen Gnom vom Hals gehalten hatte, oder bei seiner Begegnung mit Volker. Seine Ausstrahlung war beeindruckend gewesen, das hatte auch der Widerling in der Bar einsehen müssen. Aber übernatürlich?
    Eher nicht. Und was den Wolf in ihrem Traum anbelangte: Dieser Wolf hatte sie beschützt, hatte über sie gewacht. Oder nicht?
    Merle seufzte. Nein, sie traute Jakob nicht. Aber sie wollte ihm eine Chance einräumen, ein letztes Mal mit ihm sprechen, bevor sie eine endgültige Entscheidung fällte. Das klang so einfach. Merle spürte feine Stiche in der Brust, als sie darüber nachdachte, einen Schlussstrich zu ziehen. Was würde sie dafür geben, dass er genau die Worte aussprach, die sie hören wollte und die sie beruhigten? Sie schob die Kuchenkrümel zu Mustern zusammen. Viel, war die Antwort. Viel, aber nicht alles. Jakob war ihr wie ein Märchenprinz erschienen, und so viele Märchenprinzen gab es nicht auf der Welt. Aber selbst

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