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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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er am Ziel angekommen war.
    Er bekam Angst.

Achtzehn
    Böser Wolf?
    M erle war jenseits aller Gefühle. Sie funktionierte. Felix hatte sie zum Polizeirevier nach Schopfheim gefahren und war die gesamte Zeit bei ihr geblieben. Sie waren von einem weiteren Polizeibeamten zu einem Beerdigungsinstitut begleitet worden.
    J a, das war Theodor Hänssler. Nein, sie hatte nicht die geringste Ahnung, warum er diese Route gefahren und nicht auf der Landstraße geblieben war. Ja, er war eigentlich ein vorsichtiger Fahrer. Nein, sie konnte sich nicht im mindesten erklären, warum er nicht angeschnallt gewesen war. Ja, natürlich könne der Herr Bestatter sich um alles kümmern.
    Erst als dieser Merle mit angemessener Zurückhaltung gebeten hatte, Karten, Sarg und Grabstein auszuwählen, hatte sie abgeblockt. Er solle einfach tun, was er für richtig halte, Feuerbestattung und die Urne auf einem anonymen Begräbnisfeld beisetzen, Rechnung an sie, Ende der Durchsage.
    »Verscharren« hätte sie beinahe gesagt und sich in letzter Sekunde zusammenreißen können. Sie hasste diesen Totenkult so sehr. Seit sie als Kind hatte miterleben müssen, was für ein Brimborium um den Tod ihrer Mutter gemacht worden war. Als ob man sie damit wieder lebendig hätte machen können. Dass man darüber das Kind – sie – vergessen hatte, war niemandem außer Omi aufgefallen. Ihr Vater war damals selbst zu sehr in seinem Schmerz gefangen gewesen.
    Merle wusste, dass man ihre äußere Kühle falsch auslegte, doch sie scherte sich nicht darum. Es war die einzige Möglichkeit, die sie kannte, um nicht in Trauer zu versinken oder sich heulend in eine Ecke zu verkriechen. Vorerst. Abblocken, Mauer um das Herz errichten. Sie machte das nicht zum ersten Mal. Noch nie war es ihr schwerer gefallen.
    Natürlich wusste sie ganz genau, warum ihr Vater diese Strecke gewählt hatte. Er war aus Kanada zurückgekommen und hatte ein Stück seiner geliebten Heimat in sich aufnehmen wollen. Irgendwo dort oben, in den Hügeln, wo man ihn gefunden hatte, hatten er und ihre Mutter einander kennengelernt. Den Picknickplatz, auf dem es zwischen beiden gefunkt hatte, gab es nicht mehr. Doch Merle und ihr Vater waren viele Jahre in dem Gebiet spazieren gegangen. Dort hatten sie ihrer Mutter gedacht, niemals auf dem Friedhof. So würde es auch mit ihrem Vater sein. Sie brauchte kein Grab. Sie würde sich in den Höhenzügen des Schwarzwaldes an ihn erinnern.
    Aber wer verstand das schon?
    Die Aussage der Polizisten, dass ihrem Vater vermutlich ein Wildtier vor den Kühlergrill gesprungen war, fand sie lachhaft. Ihr Vater war stets überbesorgt gewesen. Eher hätte er sein Auto geschoben, als dass er zu schnell auf einer Landstraße mit Wildwechselgefahr fuhr. Es musste etwas anders geschehen sein. Sie hätte allerdings darauf gewettet, dass doch ein Reh beteiligt gewesen war. Ein ganz besonderes Reh. Ihr Verstand umkreiste diesen Gedanken immer und immer wieder. Dieses Greta-Wesen besaß zweifelsohne umfangreiches Wissen über ihre Familie. Vielleicht hatte es Papa in eine Falle gelockt. Aber wie sollte sie das der Polizei begreiflich machen? Es gab, wie diese nüchtern erklärten, keine Hinweise auf Fremdeinwirkung.
    Erst zurück auf dem Revier realisierte Merle plötzlich, warum Greta so viel über ihre Familie wusste. Schließlich war nicht nur Hans ihr Stammvater, sondern dieses Etwas …
    Sie würgte und rannte auf die Toilette, wo sie sich übergab und so lange einschloss, bis eine Polizeibeamtin sich besorgt nach ihr erkundigte.
    »Der Schock, nur der Schock«, murmelte Merle mit wässrigen Augen und wehrte jegliche Fürsorge resolut ab. Sie hatte ihren inneren Reset-Knopf gefunden. Jetzt funktionierte sie wieder. Alles andere ging niemanden etwas an.
    Sie dankte Felix, erklärte ihm, dass sie ein wenig Zeit für sich haben müsse, und schickte ihn nach Hause. Anschließend verließ sie das Gebäude und setzte sich in das nächstgelegene Café. Den Blicken der anderen Gäste nach zu urteilen, hielt man sie für eine Drogenabhängige, aber das war ihr egal. Hier kannte sie wenigstens niemand.
    Sie bestellte sich zwei Stücke Kuchen, ein Kännchen Kaffee und eine Flasche Wasser und starrte blicklos vor sich hin. Was jetzt? Sie hatte endgültig alles und alle verloren.
    Unschlüssig zog sie ihr Smartphone aus der Tasche und überlegte, ob sie Volker anrufen sollte. Er war der allerletzte Verbündete, der ihr noch geblieben war. Merle wählte, doch der Anruf wurde

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