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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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Marie mit einem erschreckten Quieken erwachte und am Baum hinabrutschte. Jakob streckte sich mit einem leisen Fluch. Wenigstens fiel sie nicht nach vorne und somit direkt auf ihn. Vielmehr sank sie wie ein tanzendes Blatt, das der Wind abgepflückt hatte, in seine ausgestreckten Arme.
    »Toll!« Ronja hielt ihre Katze am Schwanz und klatschte begeistert in die Hände. »Jetzt ich!«
    »Langsam, junge Dame«, keuchte Jakob erleichtert und setzte Marie auf dem Boden ab. Er ließ sie sich einmal um die eigene Achse drehen. Auf den ersten Blick fehlte ihr nichts. Wo oder wie sie mit dem Baum verwachsen gewesen war, konnte er nicht erkennen. Aber da konnte er sich später drum kümmern, oder noch besser: ihre Mutter oder ihr Kinderarzt. Sie lebte und war wohlauf. Ähnlich wie bei Ronja schienen sich die seelischen Schäden in Grenzen zu halten. Marie blickte eher verwirrt, vielleicht sogar mehr neugierig als verängstigt zu ihm empor.
    »Du bist Marie, richtig?«, fragte er sanft.
    Die Kleine nickte.
    Jakob beugte sich zu ihr hinab und hielt ihr den Apfel hin. Die seltsame Frucht war während des Fallens geschrumpft. Oder die vermeintliche Größe im Baum war eine weitere optische Täuschung gewesen, er wusste es nicht. Jetzt jedenfalls hielt er einen ganz normal großen Apfel in der Hand, der weder leuchtete noch golden war. »Kannst du den bitte halten? Aber nicht essen, versprochen? Nur festhalten. Nicht fallen lassen!«
    Marie nickte eifrig, nahm den Apfel mit beiden Händen und presste ihn an ihre Brust.
    Jakob lächelte ihr aufmunternd zu und stellte sich wieder an den Baum. Das war also das erste Mädchen. Es war ein Erfolg und, wenn man es mit entsprechender Märchenlogik betrachtete, gar nicht einmal schwer gewesen. Doch genau das ließ seine Anspannung eher anwachsen. Drei Prüfungen musste ein Held bestehen. Er hatte bei der ersten nicht versagt, glaubte er zumindest. Das hieß aber, dass die zweite und die dritte Prüfung schwieriger wurden. Vielleicht wurde der Apfel weggeschleudert, so dass er laufen musste.
    Er rechnete mit allem, als er wiederum den Baumstamm schüttelte. Nur nicht damit, dass sich beide noch verbliebenen Äpfel gleichzeitig lösten.

Zwanzig
    Dunkler Wald
    M erle rannte in halsbrecherischem Tempo hinter dem Wolf her. Die Taschenlampe in den schweißnassen Händen leistete ihr gute Dienste, denn Hans folgte keinem Pfad, sondern preschte auf direktem Weg mitten durch den Wald. Wohin auch immer.
    Längst hatte sie jegliche Orientierung verloren. Hoffentlich brachte ihr Anführer sie später auch wieder zurück nach Hause.
    Sie schnaufte und wollte Hans gerade zurufen, dass sie endgültig eine Pause benötigte, als der Wolf langsamer wurde und schließlich anhielt. Er streckte witternd die Nase in die Luft. Hinter ihm schien es heller zu sein. Vielleicht eine Lichtung?
    Der Wolf tänzelte auf der Stelle, als sie näher kam. Tatsächlich, jetzt konnte Merle deutlich eine freie Grasfläche zwischen den Bäumen erkennen. Ein unirdisches Leuchten und ganz leise Geräusche kamen ebenfalls aus dieser Richtung. Sie konnte beides nicht einordnen. Ob sie nun Greta gegenübertreten musste?
    Zögernd knipste Merle die Lampe aus und ging an dem Wolf vorbei. Der war ein wenig zur Seite getrabt, weil er sie, wie schon die ganze Zeit, seit sie sich begegnet waren, nicht näher als zwei, drei Schritte an sich heranließ. Merle respektierte das.
    Sie stellte sich hinter einen Baumstamm und spähte auf die Lichtung. Der Anblick jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Da waren ein Baum und die drei Mädchen. Zwei hingen an dem Baumstamm. Das dritte löste sich gerade und fiel Jakob in die Arme, der irgendetwas auf dem Boden gesucht hatte und sich gerade noch aufrappeln konnte, bevor das Mädchen auf ihn fiel.
    »Was macht der?«, wandte sie sich an Hans.
    Doch der Wolf drehte nun ebenfalls komplett durch. Er hatte einen Apfel im Maul und warf ihn Merle vor die Füße. Wie ein Hund, der sie dazu auffordern wollte, sein Bällchen zu werfen.
    »Bist du verrückt? Wir müssen die Kinder retten!« Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, dass Jakob sich zu dem befreiten Mädchen beugte und etwas zu ihr sagte.
    Der Wolf nahm den Apfel wieder ins Maul. Dann stellte er sich auf die Hinterpfoten und bewegte ruckartig den Kopf. Der Apfel flog ihm aus dem Maul. Er jagte hinterher und fing den Apfel ganz knapp noch im Flug, bevor er den Waldboden berührte.
    Jakob stellte sich an den Baum, als wolle er ihn

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