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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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Kannst du mich verstehen?«
    Keine Reaktion, nicht einmal ein Blättchen zuckte.
    Jakob kam sich lächerlich vor. Doch der erneute Blick auf die Mädchen machte ihm klar, dass er zu den lächerlichsten Aktionen bereit war, wenn er es damit schaffte, sie herunterzuholen. Also sprach er den Baum wieder an und legte gleichzeitig das Ohr an den Stamm.
    Nichts.
    Immer wieder überprüfte er, ob sich irgendwo am Waldrand etwas rührte. Alles blieb still. Trotzdem musste er sich beeilen. Früher oder später würde Greta wiederkommen.
    Er klopfte weiter am Stamm, tastete nach Vertiefungen, kratzte mit dem Fingernagel an der Rinde, die sich, magisch oder nicht, völlig normal anfühlte. Abgesehen von dem Leuchten in der Krone und den drei dort hängenden Mädchen, handelte es sich um einen sehr gewöhnlichen Baum.
    Das brachte ihn ebenfalls nicht weiter. Was als Nächstes? Tier-Symbolik. Die Rabenvögel in Mago Hänsslers Text waren auch dem Pfarrer aufgefallen, und dieser hatte sie mit der Wilden Frau in Verbindung gebracht. Inzwischen war Jakob ohnehin überzeugt, dass es sich um dasselbe Wesen handelte. Aber hier waren keine Raben, Krähen oder sonstigen schwarzen Vögel.
    Er spähte lange in die Baumkrone, suchte vergeblich nach Bewegungen oder Schatten. Dann kam ihm die Idee, dass die Tiere als Symbole in den Stamm geritzt sein könnten. Das wäre nicht einmal sehr übernatürlich. Er drehte die nächste – wievielte? – Runde um den Baum. Mit Augen und Fingern forschte er nach Konturen von Vögeln, Ziegen, Mäusen, Fröschen und natürlich einem Wolf. Dann ließ er den Kopf frustriert gegen die Rinde sinken. So kam er nicht weiter. Auch wenn es ihm unsagbar schwerfiel, die Mädchen zurückzulassen, er musste zurück. Die Feuerwehr konnte die Kinder mit Leichtigkeit befreien. Zumindest hoffte er das.
    Entschlossen entfernte er sich ein paar Schritte von dem Baum. Nur, wo war der Weg, den er gekommen war? Außerhalb des Lichtscheines, der von dem Baum ausging, konnte er kaum etwas erkennen. Dann gewöhnten sich seine Augen an das Dunkel, und er entdeckte seine eigene Spur, die er durch das knöchelhohe, feuchte Gras gezogen hatte. Er folgte ihr bis zum Waldrand.
    Da war kein Pfad.
    Nur ein abgeknickter Farnstengel verriet ihm, dass es die richtige Stelle war. Jakob kniete nieder und suchte nach der Brotkrumenspur. Aber entweder war die Magie erloschen, oder er konnte sie schlicht und einfach nicht mehr sehen.
    Er erhob sich. So oder so, er saß fest. Im Dunkeln ohne Gefühl für die Richtung durch einen völlig unbekannten Wald zu laufen war Irrsinn. Er könnte sich fünf Meter neben einer Schnellstraße bewegen und es nicht einmal merken, solange dort kein Auto fuhr. Erneut gelang es ihm nur mit Mühe, ein schrilles Kichern zu unterdrücken, als seine logische Analyse der Fakten ihn zu dem einzig logischen Schluss führte: Er würde hierbleiben und sich auf eine Konfrontation mit dieser Greta vorbereiten. Jakob sah sich nach einem dicken Ast um, der als Waffe taugte, fand einen solchen und kehrte zum Baum zurück.
    Die Mädchen hatten sich ein wenig im Schlaf bewegt, ansonsten rührten sie sich nicht. Sie sahen friedlich aus und schienen weder Schmerzen noch Kummer zu leiden.
    Knapp über den Köpfen der Mädchen hing jeweils eine goldene Kugel, von denen das Leuchten ausging. Ob sie eine Bedeutung hatten? Jakob fand, es war einen letzten Versuch wert.
    Er hob seinen Stock und konnte die Kugel über Ronja gerade noch erreichen. Er stupste dagegen.
    »Nicht! Was machst du da?«
    Vor Schreck hätte Jakob fast den Ast fallen gelassen. Er sprang zwei Schritte zurück und starrte in Ronjas weit aufgerissene Augen. Das Mädchen presste die Stoffkatze an sich. Ihre Stimme klang ängstlich, trotz allem vollkommen normal und wirkte somit in der Gesamtszenerie komplett surreal. »Sie hat uns verboten, den Apfel zu pflücken! Dann passiert was ganz Schlimmes!«
    Apfel? Jakob verstand überhaupt nichts. Er trat auf Ronja zu, tätschelte ihr das Knie und rang sich eine beschwichtigende Miene ab.
    Ronjas vorsichtigem Lächeln nach zu urteilen, gelang es ihm.
    »Du bist der böse Wolf«, stellte das Mädchen sachlich fest.
    »Ich bin nicht der Böse, ich bin der Gute. Wie geht es dir?«
    »Gut. Es ist unbequem, aber das merke ich nicht, wenn ich schlafe. Ich habe ganz viel geschlafen. Nur nicht, wenn er uns etwas zu essen gegeben hat.«
    »Er? Wer?« Hielt Ronja Greta für ein männliches Wesen? Bisher hatte sie doch immer nur

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