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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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angenehm an, half ihr jedoch nicht, klarer im Kopf zu werden. Sie riss die Fahrertür wieder auf und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Was sollte so Schlimmes an diesem blöden Stück Wiese mit einem alten Baum sein? Was hatten die Kinder dort angestellt? Sie und Björn waren einige Male in den Garten hineingeschlichen, um sich das Gesicht des Baumes anzusehen. Ihr Spielkamerad hatte stets Bedenken gehabt und sich dort nicht wohl gefühlt. Doch hinter Merles Mut zurückzustehen war für ihn natürlich nicht in Frage gekommen.
    Merle konnte sich noch gut daran erinnern, dass ihr der Garten selbst nie ganz geheuer gewesen war. Dieser uralte Baum und dann häufig dieses unirdische Heulen, das ein wenig menschlich klang. Aber das war doch der Reiz daran gewesen! Trotz allem, Merle war der Garten niemals gefährlich vorgekommen. Und es war auch nie irgendetwas passiert.
    Beinahe hätte sie das Klingeln ihres Handys in der Tasche auf dem Beifahrersitz überhört. Hastig riss sie es heraus und sah, dass es ihr Vater war.
    »Hallo Papa, wo bist du?«
    »Ich bin noch in Heathrow und warte gerade auf meinen Anschlussflug. Wenn alles klappt, bin ich gegen neun Uhr in Steinberg. Ich habe mir doch einen Mietwagen reservieren lassen, dann kann ich unterwegs noch einkaufen.«
    »Ich hätte dir etwas besorgen können. Du wärst schon nicht verhungert.«
    »Stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht. Was ist los? Du hörst dich nervös an. Hast du immer noch diese Alpträume? Machst du genug Pausen?«
    Typisch Papa. Manche Dinge änderten sich nie, selbst wenn sie achtzig und er hundert Jahre alt werden würde. »Mach dir um mich keine Sorgen. Ich stehe auf einem Rastplatz. Aber sie haben gerade in den Nachrichten gemeldet, dass in Steinberg Kinder verschwunden sind. Unter anderem Björns Tochter.«
    Einige Sekunden war es still am anderen Ende der Leitung. Merle hörte im Hintergrund eine Lautsprecherdurchsage.
    »Verschwunden? Was heißt das?«
    »Wenn ich das wüsste. Sie haben es gerade im Radio durchgegeben, ich habe noch ungefähr zweihundert Kilometer vor mir. Es ist zunächst einmal nur die Vermisstenanzeige von drei Kindern mit Personenbeschreibung gewesen. Sie sind seit gestern Abend verschwunden.«
    »Haben sie gesagt, wo sie waren? In der Nähe von Magos Häuschen?«, verlangte er nach weiteren Erklärungen.
    »Sie haben vom Steinbruch gesprochen.«
    »Das ist nicht weit, wenn man quer durch den Wald geht. Gütiger Himmel, sag, dass das nicht wahr ist!«
    »Es wird eine Erklärung geben. Vielleicht sind sie im Steinbruch herumgeklettert und haben sich verirrt. Die Feuerwehr wird sie in einer Spalte finden und herausziehen.« Das war nicht das, was Merle glaubte. Sie sprach es aus, um sich und ihren Vater zu beruhigen.
    Doch der ließ sich nicht beirren. »Genau so etwas hat Mago befürchtet«, brummte er, »dass Kindern etwas passiert, wenn sie da oben im Wald herumstrolchen.«
    »Ist das nicht letzten Endes Aufgabe der Eltern, auf ihre Kinder aufzupassen? Wir Hänsslers sind doch nicht die Wächter vom Dienst, oder habe ich da etwas verpasst?«, rief Merle aufgebracht.
    »Natürlich nicht. Aber Mago hatte immer einen Blick auf das Gelände. Besonders natürlich auf ihren Verbotenen Garten. Allein der Name lockte die Kleineren immer an. Ich habe ihr mal vorgeschlagen, jedem zu erzählen, dass dort ein Komposthaufen lagere, der wäre bei weitem nicht so interessant. Aber Gewohnheiten ändern sich einfach nicht so schnell.« Er murmelte weiter erregt vor sich hin. Und damit machte er Merle jetzt wirklich nervös. Natürlich, ihr Vater machte ihr keine Vorwürfe, dass sie seiner Bitte nicht nachgekommen war, sofort nach Steinberg zu fahren und das Haus zu hüten. Warum hätte sie das tun sollen? Zu dem Zeitpunkt waren Ronja und ihre Freunde schon im Verbotenen Garten gewesen. Außerdem machte Papa ihr eigentlich nie Vorwürfe. Und es war eben diese Art und Weise, in der er ihr keine Vorwürfe machte, die bei Merle als größtmöglicher Vorwurf ankam. Diese Nicht-Vorwürfe waren schlimmer als Vorwürfe, auf die sie patzig, zerknirscht oder kühl reagieren konnte. Auf nichts hingegen konnte sie nicht reagieren, beziehungsweise wenn sie es tat, stritt ihr Vater selbstverständlich ab, ihr einen Vorwurf gemacht zu haben. Was ja dann auch stimmte. Er konnte sie damit in den Wahnsinn treiben.
    Aggressiv trommelte sie mit den Fingern auf das Lenkrad und zwang sich zu einem ruhigen Ton. »Ich bin gleich da, vielleicht klärt sich das

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