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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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ein. »Interessiert Sie das?«
    »Ich bin Germanist und Märchenforscher. Merle hatte wegen Unterlagen ihrer Großmutter bei mir angefragt. So haben wir uns kennengelernt.«
    »Na dann.« Björn drehte den Schlüssel und ruckelte wieder, ohne dass die Tür sich einen Millimeter bewegte. »Vielleicht sollten Sie mal mit dem Pfarrer sprechen. Paul Kupferschmidt. Er ist Vorsitzender des Heimatvereins und hat eine Menge Ahnung. Wird heutzutage alles wieder hervorgekramt.« Er fluchte leise und gab den Versuch, die Tür zu öffnen, auf. »Seltsam, man sollte meinen, diese alten Schlösser wären nicht so kompliziert, aber das hier klemmt schon mal. An anderen Tagen wiederum steht die Tür manchmal auf, wenn ich komme. Jedenfalls … wegen des Pfarrers. Also, der hat mir zum Beispiel eine alte Chronik von unserem Hof gebracht. Dabei ist es nicht der Hof meiner Familie, sondern der Hof meiner Stiefmutter. Ich war zwölf, als sie meinen Vater geheiratet hat und wir hergezogen sind. Sicherlich hilft er auch Ihnen gern weiter.« Björn runzelte die Stirn und schnipste mit dem Finger gegen das Schloss, als könnte er es auf diese Weise öffnen, doch natürlich tat sich nichts. »Warten Sie hier, ich schaue mal, ob ich in der Scheune einen Schraubendreher habe. Mit dem habe ich das Schloss schon mal aufbekommen.«
    Jakob stutzte. »Was meinen Sie mit: Sie sind erst mit zwölf Jahren hergezogen? Merle hat mir erzählt, dass Sie in Kindertagen viel zusammen gespielt haben.«
    »Wieso?« Björn fuhr sich mit der Hand über seinen dichten Bart. »Mit zwölf ist man doch noch Kind, oder?«
    »Ich hatte das so verstanden, dass Sie beide viel jünger waren.«
    »Unmöglich. Ich stamme aus Lörrach, und ich war acht, als meine leibliche Mutter durchgebrannt ist, angeblich mit einem viel Jüngeren. Das war ein Riesenskandal, kann ich Ihnen sagen! Allerdings kann ich mich kaum noch an sie erinnern, und ich habe ihr nie nahegestanden. Nach einiger Zeit hat mein Vater seine jetzige Frau kennengelernt. Sie haben geheiratet, und wir sind ungefähr vier Jahre später hierhergezogen.« Björn grinste verschwörerisch und hob den Zeigefinger. »Merle war immer ein wenig empört, weil sowohl meine Schwester als auch ich so gut mit Marion, unserer Stiefmutter, auskamen. Sie meinte, dass Stiefmütter an sich durchtrieben und böse sein müssten. Was das anbelangte, war sie ein bisschen spleenig, genau wie ihre Großmutter Mago. Dabei mochte sie Marion. Sie fand es eben nur unpassend.«
    Jakob grinste und nickte zum Zeichen, dass er die Anspielung auf eine typische Märchen-Stiefmutter verstanden hatte.
    Björn zwinkerte ihm zu und lief dann an der Hauswand entlang in Richtung Scheune.
    In der Zwischenzeit betrachtete Jakob die alte Tür und fuhr müßig mit dem Daumen über das Holz des Rahmens. Ihm war, als vibrierten die Geschichten der Menschen, die hindurchgegangen waren, durch seine Haut. Das Holz und das Haus waren uralt. Jakob schüttelte den Kopf über sich selbst. Er hatte es geahnt, seit er einen Fuß auf die Lichtung gesetzt hatte. Der Wissenschaftler in ihm spottete, doch der Märchenliebhaber akzeptierte längst, dass es sich um einen besonderen Ort handelte. Vielleicht sogar den richtigen Ort – den, nach dem er so lange gesucht hatte, lange Jahre, ohne recht an seine Existenz zu glauben. Der Wolf hatte Witterung aufgenommen und war auf der richtigen Fährte.
    »Was zum Henker?« Seine Hand zuckte zurück, als ein brennender Schmerz durch seinen Daumen schoss. Er hatte sich einen Splitter unter die Haut gejagt. Mit dem Fingernagel der anderen Hand pulte er den winzigen Holzstachel heraus und leckte sich das Blut ab.
    Plötzlich vernahm er hinter sich fröhlichen Kindergesang. Er trat zwei, drei Schritte von der Tür zurück und blickte in die Richtung, in die Björn um das Haus herum verschwunden war. Kurz darauf hüpfte ihm ein kleines Mädchen entgegen. Es trug einen geflochtenen Kranz aus Gänseblümchen auf den Haaren und schwang etwas in der Hand. Außerdem trug die Kleine einen Kapuzenpulli, dessen Farbe so grellrot war, dass es Jakob in den Augen schmerzte.
    Als das Mädchen ihn sah, stieß es einen Schrei aus. Jakob fuhr herum. Aus den Augenwinkeln sah er eine rot-weiß gescheckte Katze mit aufgestelltem buschigem Schwanz davonjagen. Etwas klirrte, und dann schoss das Mädchen schreiend zurück um die Hausecke.
    Nachdem Jakob sich einen Moment von seiner Verblüffung erholt hatte, setzte er ihr nach.
    »Was ist los?

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