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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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breiten Pfad zu, der von dem Zufahrtsweg in den Wald führte. Überall tropfte und plätscherte es von den Zweigen, doch der Weg war fast trocken und über eine federnde Decke Tannennadeln gut zu laufen.
    Als sie die Lichtung betrat, stutzte sie. Das Haus hatte sich verändert. Allerdings hätte Merle nicht sagen können, was genau anders war als sonst. Vielleicht, weil in keinem einzigen Fenster ein Licht brannte und alles still und verlassen war.
    Plötzlich fröstelte Merle trotz der warmen, sogar schwülen Luft. Sie schaute sich um. Der nahe Waldrand hinter ihr strahlte eine düstere Beklommenheit aus. Dort, wo Sonnenstrahlen den Boden erreichten, bewegte sich etwas. Vielleicht Insekten oder kleine Nagetiere? Am Ende waren es nur Staubkörner, die durch die Luft flirrten. Doch der Rest, der im Schatten lag, wirkte kalt und grau, so tot wie das alte Laub des Vorjahres, das den Waldboden bedeckte.
    Merle räusperte sich laut, um die Stille zu durchbrechen. Das war doch alles albern. Sie wandte sich in Richtung Hauseingang, als die Tür wie von allein aufschwang und einladend offen stehen blieb. Erst erwartete Merle Björn oder eine der Katzen, die sie aufgestoßen haben mochten. Aber es ließ sich niemand blicken.
    »Der Wind, der Wind, das himmlische Kind«, murmelte sie lächelnd bei sich. So schnell, wie ihr Unbehagen gekommen war, war es wieder verschwunden. Nur das Ergebnis der Ereignisse der letzten Tage, mehr nicht. Das hier war immer ihr Zuhause gewesen, ganz gleich, wie häufig sie hierherkam. Trotzdem konnte Merle auf einmal viel besser verstehen, wie Märchendichter und Horrorschreiber auf ihre düsteren Gedanken kamen.
    Als sie den Flur betrat, sah sie, dass entgegen ihrem ersten Eindruck doch ein schwacher Lichtschein aus der offenen Tür zur Stube drang. Er war nicht sehr hell und daher vermutlich nicht nach draußen gedrungen. Sie stellte ihre Tasche vor der Treppe nach oben ab und schaute kurz in den erleuchteten Raum. Direkt hinter der Tür gab es eine kleine Küchenzeile mit Spülbecken, Gasherd und einer Anrichte. Das alles war zusammen mit einem uraltem Holztisch und zwei Bänken durch eine halboffene Wand vom Rest der Stube abgeteilt. Dahinter entdeckte Merle eine Öllampe, die auf dem Rand der Esse stand. Offensichtlich war kurz zuvor jemand hier gewesen. Ganz sicher Björn.
    Merle holte tief Luft und sah sich um. Sie liebte diese Stube und ihre ganz eigentümliche Atmosphäre. Hier kam es ihr immer ein bisschen so vor, als wäre die Zeit stehengeblieben. Rasch stellte sie die Lebensmittel auf der Anrichte ab und ging zur Esse. Sie drehte die Flamme der Lampe etwas höher, griff nach einer zweiten Lampe auf dem Sims des großen Kamins und entzündete diese ebenfalls, um sie später in den Flur zu stellen. Dann ging sie zu dem mächtigen Stützbalken neben der Esse in der Mitte des Raumes. Andächtig betrachtete sie die eingeritzte Jahreszahl: 1467 . Das Haus selbst war jünger, da es irgendwann einmal nahezu abgebrannt und nur ein Teil der Grundkonstruktion stehen geblieben war. Das war ein oder zwei Generationen nachdem Hans verstorben war, geschehen. Die wiederaufgebauten Teile mochten also immer noch an die dreihundert Jahre alt sein. Nachdenklich fuhr Merle die Jahreszahlen mit dem Finger nach. So viele Generationen hatten dieses Haus schon bewohnt. Es mochte seine Geheimnisse haben. Aber was für eine Bedrohung sollte von ihm ausgehen? Das war einfach lächerlich.
    Sie wandte sich ab, verließ den Raum und stieg die Treppe hinauf, die alt und vertraut unter ihren Schritten knarzte. Merle lächelte. Als Kind hatte sie genau gewusst, wo sie hintreten musste, damit die Stufen keinen Mucks von sich gaben. Jetzt gab es niemanden mehr, der ihr verbot, des Nachts in die Stube zu schleichen und in den Märchenbüchern zu lesen oder Kekse oder Lebkuchen zu stibitzen.
    Merle betrat ihr kleines Zimmer und zog wiederum verdutzt die Stirn in Falten. Sie versuchte, ihre Eindrücke mit ihrer Erinnerung übereinzubringen. Das Zimmer sah ganz anders aus. Seltsamerweise wusste sie überhaupt nicht mehr, wie es ausgesehen hatte, aber auf jeden Fall nicht so wie jetzt. Die schlichte Einrichtung bestand aus dunklem Holz, und die Wände waren in einem sorgsam darauf abgestimmten Creme-Ton gehalten. Nicht nur, dass ihr Geschmack als Jugendliche zu knalligeren Farben tendiert hatte. Das Zimmer mutete eher zeitgemäß an. Hatte Omi noch einmal renovieren lassen? Aber wozu? Das Zimmer hatte außer Merle niemand

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