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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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die Mädchen weglocken wollte, müssten sie der Spur nicht gefolgt sein. Im zweiten Fall hat die Spur unmittelbar mit dem Weg zu tun, den sie gegangen sind.«
    »Entschuldige, du hast natürlich recht. Ich werde das der Polizei morgen sagen. Tut mir leid.«
    Er zog eine zerknirschte Miene, doch Merle winkte ab. Es war ihr völlig klar, dass er seine ruppige Reaktion nicht so gemeint hatte. Sie kam dennoch nicht ganz umhin, sich schuldig zu fühlen. Lebkuchenspuren! Warum passierte das alles jetzt, ausgerechnet nach dem Tod ihrer Großmutter?
    »Kannst du dir vorstellen, dass der Verbotene Garten etwas damit zu tun hat?«, murmelte sie.
    Björn starrte sie verblüfft an. »Der Garten? Was sollte der denn damit zu tun haben?«
    »Ich weiß es wirklich nicht. Aber mein Vater war sehr besorgt, weil Haus und Garten seit zehn Tagen unbeaufsichtigt sind. Ich weiß, dass Ronja und Luke dort gespielt haben. Sie hat sich verplappert. Ich habe ihr gesagt, dass ich das gar nicht so schlimm finde, wir beide haben das schließlich auch gemacht, du und ich.«
    Björn griff unkonzentriert nach dem leeren Glas, stand dann auf und ging in Richtung Tür. »Was haben wir gemacht?«
    »Na, ein paarmal im Verbotenen Garten gespielt. Du hast mir das Gesicht in dem Baum gezeigt, und wir haben ein paarmal nachgesehen, ob es sich verändert.«
    »Ich war ganz sicher nie jenseits des Zaunes, Merle.« Björn lehnte sich mit verschränkten Armen an die Anrichte. »Ich habe im letzten Jahr mit deinem Vater den Zaun repariert. Wir haben uns noch darüber unterhalten, was Mago so wichtig daran findet, um ein paar Quadratmeter Unkraut und eine alte Eiche einen Zaun zu ziehen. Theodor hat gemeint, dass er den Baum viel weiter weg vom Zaun in Erinnerung gehabt hat, und wir haben Scherze darüber gemacht ob der Baum näher ans Haus gewandert ist. Aber natürlich trügt ihn seine Erinnerung.«
    »Und woran erinnerst du dich? Wir sind mindestens drei oder vier Mal am Baum gewesen. Einmal war Omi in Freiburg, und wir waren den ganzen Tag allein. Das war das erste Mal.«
    Ungehalten verzog Björn die Mundwinkel und schüttelte den Kopf. »Niemals. Ich hatte viel zu viel Respekt vor Mago und Muffensausen vor dem Garten. Was sie uns darüber alles erzählt hat, wie gefährlich der wäre. Sie hätte in Timbuktu sein können, und ich hätte als Kind keinen Fuß in den Garten gesetzt. Als wir älter wurden, hat es mich dann nicht mehr interessiert. Du irrst dich!«
    Da er offensichtlich die Geduld verlor, bestand Merle nicht länger darauf, obwohl sie ganz genau wusste, dass es stimmte. Es war kurz nach ihrem zehnten Geburtstag gewesen. Mit wem wäre sie sonst dieses Wagnis eingegangen? Sie hatte doch selbst Angst gehabt, ganz klar. Eine kurze unangenehme Stille entstand, bis Björn sich von der Anrichte abdrückte und sich verabschiedete. Merle war froh, dass er ihren Gedanken, ob der Garten etwas mit dem Verschwinden der Kinder zu tun haben könnte, nicht noch einmal aufgegriffen hatte.
    Als Björn ins Freie trat, schoss ein kleiner schwarzer Blitz durch die Tür in den Flur. Für einen Herzschlag huschte ein winziges Lächeln über die Züge des Mannes. »Dann bist du also nicht ganz allein.«
    Mit diesen Worten verschwand er.
    Merle ging in die Hocke, während Luzi ihr mit hochaufgestelltem Schwanz um die Beine strich, sich an ihren Knien rieb und leise schnurrte. Sie streichelte über das struppige Fell und erschrak, wie dünn die Katzendame geworden war. Sie konnte jede einzelne Rippe fühlen, und Luzis Bewegungen wirkten hölzern. Um die Nase herum war das Fell schneeweiß. Nicht nur dünn war sie geworden, auch alt.
    Mit voller Wucht traf Merle die Erkenntnis, dass sich vermutlich niemand um die Katze oder Katzen kümmerte, weil Omi tot war. Auf einmal fühlte sie sich schwach, ließ sich auf den Boden plumpsen und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Ganz gleich, was Björn soeben gesagt hatte, das Gegenteil war der Fall. Sie
war
allein. Fürchterlich allein. Sie hoffte sehr, dass ihrem Vater der Weg hierher nicht zu beschwerlich wurde. Oder sollte sie doch in seiner Wohnung auf ihn warten?
    Sie bemerkte die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, erst, als die erste auf den Boden tropfte. Luzi kletterte umständlich auf ihren Schoß und rollte sich dort ein. Merle ließ den Kopf hängen und weinte still vor sich hin, während das kleine Tier ein wenig Wärme spendete.
    Ein klägliches Maunzen ließ sie aufsehen. Vor ihr hatte sich eine zweite

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