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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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Anführer dieser selbst ernannten Retter der weißen Rasse, und pflanzten sich vor uns auf.
    Andersen: » Wat is los mit euch?«
    Wir: » Nüscht. Wir genießen den Abend.«
    Er: » Wat soll denn det werden?« Und zu mir: » Wat hast denn du für ’ne Jacke an? So ’n Zeckenkram, wat?«
    Und prompt kommt’s zum Handgemenge. Ich sitze auf der Rücklehne der Bank, kriege noch mit, dass am Akaziengrund die nächsten zwanzig Glatzen starten, will gerade aufstehen, um mich dazwischenzuwerfen, da höre ich einen Gong durch meinen Schädel dröhnen. Wie Aluminium auf Hirnschale. Ich werde das Geräusch nie vergessen. Da hat mir einer von hinten die Baseballkeule gegen die Stirn gehämmert, genau zwischen die Augen, und ich frage mich, ob mir der Schädel jetzt geplatzt ist oder nicht, während ich von der Bank kippe und versuche, dem Gewühl auf allen vieren zu entkommen. Der Kerl prügelt mit seiner Keule weiter auf mich ein, trotzdem schaffe ich es irgendwie, mich in Sicherheit zu bringen– und dann wochenlang die bange Frage: Was ist mit inneren Blutungen? Wirst du jetzt an einem Blutgerinnsel krepieren? Von den irrsinnigen Kopfschmerzen gar nicht zu reden.
    Auf Marek immerhin war Verlass. Er war weder links noch rechts, aber groß und kampferprobt und manchmal meine letzte Rettung– wie bei dem Vorfall mit dem VW -Emblem.
    Damals gehörte ein großes VW -Zeichen zu meiner Grundausstattung, wie ich es bei den Old School Rappern gesehen hatte, die mit Mercedessternen und anderen Automarkenemblemen vor der Brust rumliefen. Dass ich mich auf diese Art für Freund und Feind als Hip-Hopper zu erkennen gab, war beabsichtigt. Irgendwann gehe ich damit auf eine Party, wo ich mit ein paar Kumpeln verabredet bin, und der ganze Klub ist voller Nazis. Die pflegten, wenn Hip-Hop lief, dem DJ eine zu ballern und von ihm zu verlangen, Störkraftzu spielen– » Hier ist die Platte, hau sie rauf!«–, und kaum habe ich den Raum betreten, bin ich mein VW -Zeichen los, von einer Glatze weggerupft. Keine Chance, es wiederzubekommen. Ich wende mich an Marek, der vor der Tür steht, klage ihm mein Leid, und er marschiert rein. Allein. Und kommt gefühlte zehn Minuten später mit meinem Prachtstück wieder raus.
    Seltene Momente des Triumphs. Da gehörte schon was zu, so wie Marek in einen Laden voller Skins zu spazieren und Forderungen zu stellen. Aber Marek gehörte auch zu den Letzten, die durch irgendwas oder irgendwen einzuschüchtern waren. Eines Tages kriegte er sich bei einer Party im Akaziengrund mit dem Obernazi Andersen in die Wolle. Dieser Andersen war so irre, der hatte sich ein Hakenkreuz auf die Brust tätowieren lassen. Marek sagte bloß zu ihm: » Komm, gehen wir vor die Tür«, und kaum waren beide draußen, fing Andersen an, auf Marek einzutreten, immer mit den Stahlkappen seiner Doc Martens vors Schienbein. Muss höllisch wehgetan haben, aber Marek hat sich nicht mal gewehrt, der hat den Andersen die ganze Zeit nur ausgelacht– » Du Lusche. Was ist das denn? Du trittst ja wie ’ne Pussy«–, hat die Zähne zusammengebissen und immer weitergehöhnt. Natürlich ging der Punkt an ihn, denn alles in allem war dieser » Kampf« für unseren Obernazi die denkbar größte Blamage, und damit fällt er ebenfalls unter die seltenen Triumphe in dieser aus den Fugen geratenen Zeit.
    Eines sollte ich noch erwähnen: Marzahn war Kampfgebiet, Bürgerkriegsterritorium, da sprachen sich die heftigeren Aktionen schnell rum, und wenn du wieder aufgestanden bist, nachdem du eine Baseballkeule gegen den Schädel bekommen hattest, dann steigerte das dein Ansehen in den eigenen Reihen ungemein. Das war wie bei den Indianern. Insofern waren solche Zwischenfälle zwar unliebsam, aber auch mit Vorteilen verbunden.

8 | Wie der Bordstein schmeckt
    Mit dem Naziterror in Marzahn war erst gegen Ende der Neunzigerjahre Schluss, nachdem die Russen die Sache in die Hand genommen und auf ihre Art bereinigt hatten. Bis dahin kam es zu etlichen weiteren Zwischenfällen der ernsteren Art; die Glatzen werden uns also noch eine Weile erhalten bleiben, wobei ich eines klarstellen möchte: Dass längst nicht jeder Skinhead ein Nazi sein musste, habe ich erst später gelernt. Für uns waren Skins und Nazis ein und dasselbe. Wer sich bei uns den Schädel rasierte, der machte auch bei den Nazis mit. Das ist der Grund, weshalb ich auf den folgenden Seiten keinen Unterschied zwischen Skins und Nazis mache. Einstweilen aber möchte ich das Thema wechseln und

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