So fühlt sich Leben an (German Edition)
Ersatzteillager sein können. Aber es war eine klapprige Scheune und alles geklaut und illegal.
Der kriminelle Einfallsreichtum der Weißenseer verdiente nach meinem Dafürhalten große Bewunderung. Die gängigste Variante, geklaute Autos an den Mann zu bringen, war die Polen-Connection, also: Die Ware noch in derselben Nacht nach Polen schaffen und dort verscheuern. Das war aber extrem riskant. Oft genug hörte man von Jungs, die an der Grenze hopsgenommen worden waren. Die Weißenseer praktizierten ein anderes, in jenen Zeiten so gut wie risikoloses Verfahren: Gestohlene Autos verschwanden in ihrer Scheune, wo sie umgehend demontiert beziehungsweise mit Schweißbrennern säuberlich zerlegt wurden, woraufhin immer neue Kontingente edelster Einzelteile der bestehenden Sammlung hinzugefügt wurden. Nur für die Rahmen hatten die Weißenseer keine Verwendung. Alle anderen Teile wurden stückweise verkauft, und zwar in Deutschland und ganz Europa.
Das Kurioseste aber war, wie ich bei den folgenden Besuchen herausfand: Die Jungs agierten wie ganz normale Mechaniker, schlüpften morgens bei Arbeitsbeginn in ihre Blaumänner, gingen den Tag über mit Professionalität, Disziplin und größter Seelenruhe ans Werk und legten nach Feierabend ihre Blaumänner wieder ab, als wären sie bei einer VW -Vertragswerkstatt angestellt. Dass es geklaute Autos waren, die dort auseinandergenommen wurden, hat sie überhaupt nicht interessiert. Sie machten halt ihren Job. Nur dass er besser bezahlt war, als wenn sie bei Volkswagen unterschrieben hätten.
Und plötzlich hatte ich nichts mehr gegen Handarbeit. Gonzales stellte mich seinen grillenden Freunden vor, wir wurden schnell miteinander warm, und in den nächsten Monaten beteiligte ich mich ebenfalls an dem großen Luxuskarossen-Recycling und schlüpfte tageweise in den Blaumann. Wir hatten viel Spaß und erreichten unser Plansoll ausnahmslos, während in der Scheune von morgens bis abends Hip-Hop lief. Schöne Zeit.
Aber angefangen… Angefangen hatte es… nein, das später. Damit nicht der Eindruck entsteht, die Hunde des Kapitalismus hätten allzu leichtes Spiel mit mir gehabt und in kürzester Zeit auf der ganzen Linie gesiegt.
Wie hatte Opa Ludwig gesagt? Erfolg ist die zwangsläufige Konsequenz von Fleiß. Das hatte sich bewahrheitet, erst beim Tischtennis, dann beim Sprühen. Inzwischen hatte ich für mich allerdings das Wort Fleiß durch Leidenschaft ersetzt. Durch Leidenschaft oder Begeisterung. Ohne Leidenschaft lief bei mir nichts, auch jetzt nicht, und deshalb bedeutete mein Abschied vom Sprühen keinen Abschied vom Hip-Hop. Hip-Hop war ja mehr als Sprühen. Hip-Hop war auch und vor allem Musik, da gab es die MC s, die Masters of Ceremonies, Wortakrobaten, Party-Anheizer ursprünglich in New York, in der Bronx, mittlerweile Musiker, die auf Beats rappten, und unversehens bahnte sich bei mir etwas in dieser Richtung an.
Ich hatte nie gedacht, dass meine Stimme zu irgendeiner Art von Vortrag taugen würde. Sicher, als Kind habe ich gesungen, bei den Jungen Pionieren haben wir gesungen, Lieder wie » Der kleine Trompeter«, und als Teil eines Chors habe ich es gern getan. Aber allein? Schon deswegen nicht, weil es in späteren Jahren ziemlich uncool rübergekommen wäre, wenn man gesagt hätte: » Übrigens, ich singe.« Doch wie würde es klingen, wenn ich sagen könnte: » Ich rappe«?
Gegen Ende meiner Sprüherkarriere lernte ich Waffel kennen. Das heißt, ich wusste von ihm seit Längerem. Bereits zu DDR -Zeiten hatte er bei den Downtownlyricsgerappt, auf Englisch, und einmal sogar einen Auftritt im Palast der Republik gehabt. Nach der Wende habe ich ihn bei Jams erlebt, und mein Eindruck war: Was ich als Sprüher war, nämlich ein Hundertprozentiger, das war Waffel als Rapper. Das Spielen mit Worten war sein Ding.
Waffel wiederum hatte mich als Sprüher seinerseits auf dem Schirm. Schon deshalb, weil ich gelegentlich auf seinen Veranstaltungen auftrat und draußen Leinwände besprühte, während er drinnen rappte. Eines Tages fuhren wir Berliner gemeinsam mit dem Zug zu einer Hip-Hop-Jam nach Leipzig, an der sich Waffel mitseiner Band A Real Dope Thing beteiligte, und wir kamen ins Gespräch. Ich hatte wie immer mein Skizzenbuch dabei und bat ihn, mir irgendeinen fetzigen Spruch samt Autogramm reinzuschreiben– für mich war Waffel ja ein ganz Großer, der Rapper einer Band, die ich extrem gut fand. » Ja, kann ich machen«, sagte er und blätterte mein
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