So fühlt sich Leben an (German Edition)
wortlos vorüber, ich drehte, als wir auf gleicher Höhe waren, die Hand mit der Dose nach vorn, und sie setzten ihren Weg in Richtung Bahnhof fort, bis sie hineinsehen konnten.
Ich schaute mich um. Sie waren stehen geblieben. Im nächsten Moment machten sie kehrt und rannten auf mich zu. Da bin auch ich gerannt. Eye of the Tiger. » Polizei! Bleiben Sie stehen! Bleiben Sie sofort stehen!« Und ich durch halb Marzahn, die beiden immer hinter mir her. Irgendwann haben sie sich geteilt, aber ich kannte mich aus, für mich war das ein Heimspiel, schwer, mich auf diesem Terrain zu überlisten, und außerdem war ich fit, nicht zuletzt durchs Tischtennis. Dann fand ich eine Kellertreppe, saß da zusammengekauert und wartete und verhielt mich still. Eine halbe Stunde später, als die Luft rein war, ging ich nach Hause.
Das war meine letzte Aktion. Nie wieder habe ich illegal gesprüht.
12 | Arbeit im Akkord
Anfang 1995 trat ich von der Graffiti-Bühne ab. Wenn ich jetzt sage, dass ich zu diesem Zeitpunkt einen Bertone fuhr, ein ziemlich seltenes, leidlich schnelles Auto, und eine hübsche Hütte in der Ringelnatz-Siedlung bewohnte, Dachwohnung mit Tonnengewölbe, zwei Zimmer und keine Platte, dann ist klar, dass es was nachzutragen gibt. Ich werde also in diesem Kapitel (und wohl auch im nächsten) von den Auswirkungen des Wohngebietsparks auf meine Gewohnheiten erzählen. (Nein, ich will mich nicht herausreden. War nicht koscher, was wir getrieben haben…)
Einer der Spezialisten im Wohngebietspark war, wie gesagt, Gonzales. Er litt unter einem Zwergensyndrom und hatte außerdem die entzückende Eigenschaft, knallrot zu werden, wenn er Mist gebaut hatte und ertappt wurde. Solariumgebräunt, wie er war, schaffte er es trotzdem, puterrot zu werden. Das schaffte sonst keiner. Im Übrigen kannte ich ihn als lustigen und umtriebigen Kerl, der beste Beziehungen zu einer nicht näher definierten, allem Anschein nach aber hochinteressanten Truppe in Weißensee unterhielt. Mir war jedenfalls nicht ganz klar, in welche Geschäfte diese Leute verwickelt waren, bis Gonzales mich eines Tages anrief und sagte: » Heute wird da gegrillt. Hast du Bock?«
Hatte ich. Schon deshalb, weil ich mir von diesem Abstecher die Lösung eines Rätsels versprach. Gonzales war nämlich in der Lage, jedem schlichtweg alles zu besorgen, was es an Autozubehör gab, auch die ausgefallensten Teile, oder gerade die, zu fairen Preisen. Ich selbst hatte mit ihm folgende Geschichte erlebt:
Ich bestelle bei Gonzales vier 13-Zoll-Powertec-Felgen für meinen Bertone. Felgen sind an einem Auto das A und O, behaupte ich, und diese Felgen haben meinen Lochkreis. » Nächste Woche haste sie«, sagt er und kommt die Woche darauf tatsächlich mit den Felgen um die Ecke. Ich gebe ihm fünfhundert Mark und denke: Dann wirst du sie gleich montieren. Ich schraube meine alten ab und die neuen drauf, sie sehen super aus, und Gonzales sagt: » Fahr mal ’ne Runde, ich will mir angucken, wie sie wirken, wenn sie sich drehen.« Berechtigtes Anliegen. Ich setze also aus der Parklücke, fahre los und denke: Irgendwas stimmt hier nicht– und sehe im Rückspiegel Gonzales schon verzweifelt mit den Armen wedeln. » Die eiern total«, sage ich, fahre zurück, setze den Schlüssel an, will die erste Felge runterziehen, und sie sitzt bombenfest. Wie angeschweißt. Nicht mehr abzukriegen. Da hat sich die Felge auf die Nabe gezogen, weil der Nabendurchmesser der Felge kleiner als die Nabe ist, und Gonzales wird rot wie ein Feuerwehrauto. Bis in die Nacht haben wir geackert, um alle vier Felgen runterzukriegen. Danach konnten wir sie wegschmeißen.
So, wir fuhren nach Weißensee, und da saßen sie vor einer großen, alten Scheune am Ortsrand und grillten und erwarteten uns schon. An diesem Tag kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus.
Zu ebener Erde war in dieser Scheune eine Autowerkstatt mit der üblichen Ausstattung wie Hebebühnen, Flex, Schweißgeräte und so weiter untergebracht. Darüber waren zahllose Regale eingezogen, in denen sich Autotüren, Kotflügel, Felgen, Stoßdämpfer und Motoren stapelten, praktisch alles, was von einem Auto übrig bleibt, wenn man es in seine Einzelteile zerlegt– wobei ich nicht von Golf oder Kadett rede, sondern von Luxusschlitten. Alles, was es da zu sehen gab, stammte von BMW Alpina, Mercedes AMG , Rieger, Porsche, S-Klasse und Ähnlichem. Es hätte, vom ersten Eindruck her, eine üppig dimensionierte Werkstatt mit prall gefülltem
Weitere Kostenlose Bücher