So fühlt sich Leben an (German Edition)
unserem war das der Jäger Möller. Der Möller hat jede Nacht geheult. Er schlief unter mir, und ich bin aus meinem Bett gestiegen und habe auf ihn eingeredet: » Möller, reiß dich zusammen.« Ich hatte Angst um ihn, weil er so labil und immer der Depp war.
Irgendwann sind sie zu einer Nachtübung ausgeschwärmt– allerdings ohne mich. Als sie zurückkamen, wurden die Schallschutzaufsätze von den Gewehren wieder eingesammelt, und Möller stand ohne Aufsatz da. Den hatte er im dunklen Wald verloren. Da hat der Feldwebel die ganze Bude auf den Kopf gestellt inklusive Spindumschmeißen und, als sich das Teil nirgendwo fand, den Jäger Möller nachts um drei mit einer Taschenlampe in den Wald zurückgeschickt. » Würde mich nicht wundern, wenn er sich das Leben nimmt«, habe ich zu dem Feldwebel gesagt.
In der Frühe kam Möller zurück und hatte den Aufsatz nicht gefunden, war ja klar. Am selben Morgen habe ich das Verhalten des Feldwebels » menschenverachtend« genannt, vor seinen Ohren und vor allen Leuten. Dann habe ich mich vor den Jäger Möller gestellt. » Wenn irgendjemand was von dem Möller will, kriegt er’s mit mir zu tun.« So, basta.
Für mich war das, kurz gesagt, ein Haufen Halbstarker. Aber es hatte alles in allem etwas Gutes. Geh zum Bund, hat mein Vater immer gesagt. Du musst zur Armee. Recht hat er gehabt. Habe da wertvolle Erfahrungen gesammelt.
So, jetzt war ich wieder frei– und stand erneut vor der Entscheidung: legal oder illegal? Im Nebenberuf Rapper und im Hauptberuf Ganove? Oder umgekehrt? Oder dem schnöden Mammon ganz abschwören?
Im Nachhinein könnte es so klingen, als wäre die Wahl einfach gewesen. Als hätte mir die Entscheidung leichtfallen müssen. Bleib beim Hip-Hop, höre ich jemanden sagen. Denk an Waffel! Ist Musik denn nicht deine Leidenschaft? Ja, schon. Aber es ist eine vertrackte Sache mit der Leidenschaft, und vielleicht war sie meinem Vater deshalb nie so ganz geheuer. Während du nämlich versuchst, Macht über Dinge und Verhältnisse zu gewinnen, verlierst du gleichzeitig, allmählich und unmerklich, die Kontrolle über dich selbst, und ich war nicht nur Hip-Hopper aus Leidenschaft, ich war auch Ganove aus Leidenschaft. Und der Ganove Hagen Stoll war den Sternen bereits sehr viel näher gekommen als der Hip-Hopper Hagen Stoll. Der Ganove hatte schon mehr als eine Handvoll Sterne in der Hosentasche, während der Hip-Hopper noch sehnsüchtig zu ihnen aufblickte. Trotzdem wäre das Pendel beinahe in Richtung Hip-Hop ausgeschlagen, denn es trat etwas ein, das man fast als wundersamen Wink des Schicksals verstehen könnte.
Ich war beim Hansa noch für The Boyz zugange, da lief mir auf dem Flur ein unauffälliger, kleinerer Herr über den Weg und stellte sich mir vor. Kam einfach auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte: » Sven Meisel.« Und Sven Meisel war der Chef vons Janze. Das komplette Haus gehörte ihm. Plus die Wittelsbacher Straße 18, wo die Meisel-Musikverlage ihren Sitz hatten, Tür an Tür mit einer der größten Produktionsfirmen überhaupt, der BMG (Bertelsmann Music Group). Das Meisel-Verlagshaus war einer der ältesten Musikverlage in Deutschland, gegründet von Will Meisel, dem Großvater von Sven. Es war also einer der letzten großen Familienbetriebe, seit Schellack-Zeiten aktiv. Kurzum, das war nicht Hotzenplotz-Records, das war eine ganz schön große Nummer, da gaben sich, wie ich später festgestellt habe, Produzenten wie Jack White und Peter Wagner die Klinke in die Hand, da gingen Reinhard Mey und Udo Jürgens ein und aus. Und dieser Sven Meisel hatte ein Auge auf mich geworfen! Der sah in mir mehr als ich selbst.
» Was machst du denn so?«, fragte er mich.
» Na ja«, habe ich geantwortet. » Kleinigkeiten. Mal hier was, mal da was.« Stimmte ja auch.
Und mit einem Mal war ich Praktikant im Hansa. » Hagen, komm mal her!«, rief er, und: » Alex, komm mal her!«, und dann setzte sich Sven Meisel mit Alexander Wende, dem Studiochef, und mir auf die große Ledercouch im Empfang und sagte: » Pass mal auf, Hagen. Alex arbeitet in der Regie 1, setz dich mal dazu. Setz dich einfach mal neben ihn und schau ihm bei der Arbeit zu«– als würde er mit einem Lehrling sprechen. Und so gehörte ich plötzlich irgendwie, auf eine lockere Art, in diesen grandiosen Laden.
Mir hat von Anfang an gefallen, wie es im Hansa zuging, nämlich familiär. Mit anderen Worten: Der Stil des Hansa war total altmodisch, aber genau das war das Coole. Die
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