So funktioniert die Wirtschaft
schwächen, etwa indem das Niveau der sozialen Sicherung abgesenkt oder die gesellschaftliche Macht der Gewerkschaften reduziert wird. Dadurch können sie langfristig den Lohnzuwachs drücken. Wenn das durchschnittliche Lohnniveau zurückgeht, sinkt auch das Anspruchsniveau der Arbeitnehmer. Anders ausgedrückt: Die Arbeitgeber scheuen sich lediglich, die erworbenen Lohnansprüche ihrer Arbeitnehmer in Frage zu stellen, nicht aber, den Anstieg der Lohnansprüche in Schach zu halten.
Arbeitsmärkte ticken anders
Arbeitslosigkeit führt also nicht unbedingt zu sinkenden Löhnen. Aber wenn zu hohe Löhne eine wichtige Ursache von Arbeitslosigkeit sein sollten, könnte man ja daran denken, die Löhne gezielt abzusenken. Um das Reallohnniveau , auf das es am Ende ankommt, zu reduzieren, genügt es, wenn die Lohnsteigerungen niedriger ausfallen als die Inflationsrate. Wer eine solche Lohnentwicklung herbeiführen möchte, kann die allgemeinen Arbeitnehmerrechte, das soziale Sicherheitsnetz sowie die Gewerkschaften schwächen. Diese Politik wurde mitden Hartz-Reformen der rot-grünen Bundesregierung von 2003 bis 2005 umgesetzt. Sie scheint gefruchtet zu haben, denn die Reallöhne stagnierten jahrelang oder sanken sogar. Die Arbeitslosigkeit ging in der Folge stark zurück.
Wichtig
Reallohnsteigerung ist die Zunahme der Durchschnittslöhne abzüglich der Preissteigerungsrate. Nur in dem MaÃe, wie der Reallohn steigt, kann man sich für seinen Lohn tatsächlich mehr kaufen.
Es gibt allerdings auch Gegenbeispiele, die darauf hindeuten, dass man nicht generell mit Lohnsenkungen Beschäftigung generieren und Arbeitslosigkeit abbauen kann. So werden in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern die Stundenlöhne in Cent gemessen. Trotzdem sind dort Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung oft extrem hoch. In den USA war 2010 und 2011 die Arbeitslosigkeit deutlich höher als in Deutschland, obwohl es dort kaum noch verbindliche Tarifverträge gibt und der Mindestlohn sowie die soziale Absicherung sehr niedrig sind. Auch treten immer wieder über lange Zeiträume hinweg groÃe Unterschiede in der Arbeitslosigkeit zwischen benachbarten europäischen Ländern mit ähnlicher Lohnhöhe und ähnlichen Lohnuntergrenzen auf. Das spricht dagegen, dass die Lohnhöhe eine entscheidende Rolle spielt.
Um diese scheinbar widersprüchlichen Feststellungen zu erklären, müssen wir einen Blick darauf werfen, wie der Arbeitsmarkt eigentlich funktioniert. Am Arbeitsmarkt vollzieht sich der Ausgleich von Angebot und Nachfrage nicht so leicht wie auf manchen Warenmärkten, wie z. B. dem Kartoffelmarkt. Wenn es ein Ãberangebot an Kartoffeln gibt, werden diese billiger. Daraufhin kaufen die Menschen mehr Kartoffeln undweniger Reis. Die Kartoffelproduzenten produzieren weniger, weil es sich weniger lohnt, Kartoffeln anzubauen. Dieser Prozess setzt sich fort, bis das Ãberangebot bei einem gesunkenen Preis verschwunden ist (siehe die folgende Abbildung).
Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf einem Gütermarkt
Ein Ãberangebot an Arbeitskräften verschwindet nicht so leicht. Die Menschen bieten nicht weniger von ihrer Arbeitskraft an, wenn der Lohn sinkt. Denn die meisten Menschen müssen arbeiten, um vom Lohn zu leben. Sie können nicht einfach aufhören, weil es sich nicht mehr âlohntâ zu arbeiten. Im Gegenteil: Es kann gut sein, dass sie sogar mehr Arbeitskraft anbieten, um den Einkommensausfall wettzumachen. Entweder arbeiten sie selbst mehr oder der Ehepartner; im Extremfall â der in Entwicklungsländern leider eher die Norm ist â arbeiten die Kinder früher und mehr, wenn der Lohn der Eltern sinkt.
Beispiel
Ashenfelter, Doran und Shaller (2010) haben in einer Studie über Taxifahrer in New York festgestellt, dass diese jedes Mal ihr Arbeitsangebot senkten, also ihre Arbeitszeit reduzierten, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde den Taxitarif und damit den Stundenlohn der Taxifahrer erhöhte. Gerade bei den Geringverdienern scheint also auch in Industrieländern der Effekt aufzutreten, dass das Arbeitsangebot mit steigendem Lohn sinkt und umgekehrt bei sinkendem Lohn steigt.
Wenn also der Lohn sinkt, kann es durchaus sein, dass das Arbeitsangebot und damit die Konkurrenz um knappe Arbeitsplätze steigen und nicht etwa zurückgehen. Im ungünstigen Fall wird die Unterbeschäftigung
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