So gut wie tot
zweite Mal in seiner Wohnung gewesen war. Ihr zweites geheimes Rendezvous, das hatte er jedenfalls geglaubt, und sie war so dumm oder naiv gewesen, sich auf ein Fesselspiel einzulassen. Das Schwein hatte sie nackt in einem kalten Zimmer gefesselt, mit einem Vibrator fast zum Höhepunkt gebracht, ihr einen Klaps versetzt und dann sechs Stunden geknebelt alleingelassen. Danach war er zurückgekommen und hatte sie vergewaltigt.
Er hatte nur gesagt, das habe sie doch so gewollt.
Abby hatte bei dieser Gelegenheit nicht das bekommen, was sie – besser gesagt, Dave – hatte haben wollen. Das hatte viel länger gedauert.
Ihre größte Sorge in diesem Augenblick war, dass sie seine Grenzen nicht kannte und befürchten musste, dass es keine gab. Sie traute Ricky zu, dass er ihre Mutter tötete, um alles zurückzubekommen. Danach wäre sie selbst an der Reihe.
Und er würde es genießen.
Sie malte sich gerade aus, wie sich ihre Mutter in diesem Augenblick fühlen musste, als sie Hegartys imposantes Haus erreichten.
Sie bezahlte den Fahrer und schaute aufmerksam nach allen Seiten. In der Nähe parkte ein Lieferwagen der British Telecom, der Reparaturarbeiten durchzuführen schien, und ein Stück weiter stand ein kleines blaues Auto am Straßenrand. Von Ricky oder seinem Ford Focus war nichts zu sehen.
Sie überprüfte noch einmal die Hausnummer und wünschte sich, sie hätte ihren kleinen Regenschirm mitgenommen. Mit gesenktem Kopf eilte sie durch das offene Tor, vorbei an diversen Autos und unter das Vordach. Sie holte das Päckchen unter ihrer Kleidung hervor, richtete sich wieder her und klingelte.
Wenige Minuten später saß sie in Hegartys Arbeitszimmer auf einem großen, karminroten Ledersofa. Der Händler trug ein ausgebeultes kariertes Hemd, eine Breitcordhose und Lederpantoffeln und untersuchte mit einer riesigen, schildpattgefassten Lupe jede einzelne Briefmarke.
Sie fand es immer aufregend, die Marken zu sehen, weil sie von einem Geheimnis umgeben waren. Sie waren winzig klein, uralt und empfindlich und dennoch so wertvoll. Die meisten waren schwarz, blau oder rostrot und trugen den Kopf von Königin Victoria. Es gab aber auch andere Farben und andere Monarchenköpfe.
Mrs Hegarty, eine gut aussehende, elegant gekleidete und perfekt frisierte Frau in den Sechzigern, brachte Abby eine Tasse Tee und einen Teller Vollkornkekse und ging wieder hinaus.
Irgendetwas im Verhalten des Mannes behagte Abby nicht. Dave hatte gesagt, sie solle die Briefmarken hierher bringen, Hugo Hegarty sei der Händler, der den besten Preis bieten und die wenigsten Fragen stellen würde, und sie hatte ihm vertraut. Dennoch beschlich sie ein ungutes Gefühl, das sie nicht genau benennen konnte.
Sie musste dringend verkaufen. Je eher sie das Geld bekäme, desto günstiger wäre ihre Position gegenüber Ricky. Solange sie die Marken noch besaß, hatte er sie in der Hand. Im schlimmsten Fall konnte er zur Polizei gehen. Dann würden sie beide alles verlieren, doch sie hielt ihn für boshaft genug, lieber alles preiszugeben als seine Niederlage zu akzeptieren.
Ohne die Briefmarken hatte er jedoch keine Beweise. Und bis dahin hätte sie das Geld sicher untergebracht, auf einer Bank in Panama, einem Steuerparadies, das nicht mit den britischen Behörden kooperierte.
Das Recht war auf der Seite der Besitzenden.
Jedenfalls war es ein Fehler gewesen, so lange zu warten. Sie hätte die Marken gleich nach ihrer Ankunft in England oder noch in New York verkaufen sollen. Dave aber hatte warten wollen, bis sie sicher waren, dass Ricky Abbys Aufenthaltsort nicht kannte. Diese Strategie hatte sich als Bumerang erwiesen.
Da klingelte Hegartys Telefon. »Hallo?« Auf einmal hörte er sich steif und ein wenig verlegen an. Er warf Abby einen Blick zu und sagte: »Einen Augenblick bitte. Ich gehe kurz nach nebenan.«
Glenn Branson saß am Schreibtisch, Telefon am Ohr, und wartete auf Hugo Hegarty.
»Tut mir leid, Sergeant«, sagte Hegarty einige Minuten später. »Die junge Dame sitzt bei mir im Büro. Ich nehme an, es geht um sie?«
»Ja. Zufällig habe ich heute Morgen das Protokoll überprüft, in dem alle polizeilich gemeldeten Zwischenfälle vermerkt werden, und bin auf etwas gestoßen, das von Bedeutung sein könnte. Sie haben uns gestern einen Namen genannt, Sir – Chad Skeggs.«
»Ja«, erwiderte Hegarty zögernd.
»Nun, es wurde gemeldet, dass jemand dieses Namens, ein Australier aus Melbourne, einen Wagen angemietet hat, der
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