So gut wie tot
letzten Wochen so einige Beileidskarten bekommen.«
»Die würde ich gerne lesen. Interessant, was die Leute über mich zu sagen haben.«
»Lauter nette Dinge.« Sie lachte traurig. »Sue meinte, ich müsse allmählich an die Beerdigung denken. Der Sarg muss ja nicht allzu groß sein, für Brieftasche und Handy, meine ich.«
Beide kicherten. Dann wischte sie sich wieder die Tränen weg.
»Immerhin können wir darüber lachen. Das ist doch gut, oder?«
Er kam um den Tisch herum und drückte sie ganz fest an sich. »Ja, das ist gut.«
»Warum Australien?«
»Es ist weit weg. Dort kennt uns niemand. Außerdem habe ich einen alten Kumpel, der vor Jahren dorthin gezogen ist. Ich kann ihm vertrauen. Er tauscht die Briefmarken wieder in Bargeld um, ohne Fragen zu stellen.«
»Wer soll das sein?«
»Chad Skeggs.«
Sie schaute ihn an, als hätte jemand auf sie geschossen. »Ricky Skeggs?«
»Genau. Du warst mal mit ihm zusammen, nicht wahr? Er ließ sich von seinen Puppen immer Ricky nennen. Als besonderes Privileg. Für seine Geschäftspartner und Kumpel war er Chad, für seine Puppen Ricky. Das nahm er sehr genau.«
»Es ist derselbe Name, kommt beides von Richard.«
»Auch egal.«
»Nein, das ist es nicht, Ronnie. Und ich war auch nicht mit ihm zusammen. Wir hatten eine einzige Verabredung. Dabei hat er versucht, mich zu vergewaltigen. Das habe ich dir doch erzählt.«
»Klar, Vergewaltigung war seine Vorstellung von einem netten Vorspiel.«
»Ich meine es ernst. Bestimmt habe ich dir die Geschichte erzählt. Anfang der neunziger Jahre hatte er einen Porsche. Eines Abends sind wir –«
»Ich erinnere mich an den Porsche. Ein 911 Targa. Schwarz. Ich habe damals für Brighton Connoisseur Cars gearbeitet. Wir haben ihn wieder hergerichtet, nachdem er einen Totalschaden hatte. War gegen einen Baum gefahren. Wir haben das hintere Ende mit der Front eines anderen Wagens zusammengebaut. Den haben wir ihm dann billig angedreht. Eine echte Todesfalle!«
»So etwas hast du deinem Freund verkauft?«
»Er wusste, dass mit dem Wagen etwas faul war und er nicht zu schnell fahren durfte. Brauchte ihn ohnehin nur, um Puppen wie dich aufzureißen.«
»Jedenfalls haben wir etwas getrunken, und ich dachte, wir würden danach etwas essen. Stattdessen fuhr er mitten in die Downs und sagte, alle Mädchen, mit denen er bumse, dürften ihn Ricky nennen. Dann machte er die Hose auf und sagte, ich solle ihm einen blasen. Ich konnte es nicht fassen.«
»Vulgäres Schwein.«
»Als ich nach Hause wollte, versuchte er, mich aus dem Auto zu zerren. Ich sei eine undankbare Schlampe und er werde mich richtig durchbumsen. Ich zerkratzte ihm das Gesicht, drückte die Hupe, und plötzlich kamen Scheinwerfer auf uns zu. Er geriet in Panik und brachte mich nach Hause.«
»Und dann?«
»Er sagte kein Wort mehr. Ich stieg aus, und das war alles. Danach habe ich ihn noch ein paar Mal in der Stadt gesehen, immer mit einer anderen Frau. Irgendwann hörte ich, er sei nach Australien gegangen. In meinen Augen noch lange nicht weit genug weg.«
Ronnie saß da und schwieg verlegen. Lorraine drückte ihre Zigarette aus, die bis zum Filter heruntergebrannt war, und zündete sich die nächste an. Schließlich sagte er: »Chad ist schon in Ordnung. War vermutlich besoffen an dem Abend. Hatte immer ein gewaltiges Ego. Du wirst feststellen, dass er mit dem Alter milde geworden ist.«
Lorraine schwieg.
»Alles wird gut, Baby«, sagte Ronnie. »Das läuft schon. Wie viele Leute bekommen schon die Chance, noch einmal ganz von vorn anzufangen?«
»Was für ein Anfang«, sagte sie mit bitterem Ton. »Wir sind von einem Kerl abhängig, der mich vergewaltigen wollte.«
»Hast du etwa eine bessere Idee?« Ronnie klang ziemlich wütend. »Na sag schon, hast du eine bessere Idee?«
Lorraine schaute ihn an. Er sah anders aus als vor der Reise nach New York. Es war nicht nur äußerlich, lag nicht nur am Bart und dem kahl rasiertem Kopf, etwas anderes hatte sich verändert. Er wirkte entschlossener und härter.
Oder aber sie sah ihn nach der langen Trennung zum ersten Mal so, wie er wirklich war.
Nein, erklärte sie schließlich zögernd, sie habe keine bessere Idee.
103
OKTOBER 2007 Abby saß auf dem Ledersofa in Hugo Hegartys Arbeitszimmer. Sie pustete auf ihren Tee, trank und nahm sich einen Keks. Sie hatte nicht gefrühstückt und brauchte dringend ein bisschen Zucker. Es dauerte eine ganze Weile, bis Hegarty zurückkam.
»Verzeihung«, sagte er
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