So gut wie tot
Spurensicherung.«
Grace war dankbar, den Kanal zu verlassen. Hier wurde er nicht dringend gebraucht und hätte sogar ins Büro fahren können, doch er legte Wert darauf, dass ihn seine Leute vor Ort sahen. Wenn sie schon ihren Samstag in einem ekelhaften, dunklen Kanal verbringen mussten, wollte er mit gutem Beispiel vorangehen.
Es tat gut, die Tür vor dem scheußlichen Wetter zu schließen und sich auf die weichen Polster im Wagen zu setzen, selbst wenn er dabei auf engem Raum mit Norman Potting zusammentraf, was nie besonders angenehm war. Der Mann verströmte abgestandenen Pfeifenrauch, vermischt mit dem Knoblauch vom letzten Abendessen.
Detective Sergeant Norman Potting hatte ein schmales Gesicht mit geplatzten Äderchen, dicke Lippen und schütteres Haar, das er seitlich über die Glatze kämmte. Dank des Wetters stand es ihm jetzt zerzaust vom Kopf ab. Er war dreiundfünfzig, obwohl böse Zungen munkelten, er habe sich jünger gemacht, damit er länger im Dienst bleiben konnte, weil ihm vor dem Ruhestand graute.
Grace hatte seinen Kollegen noch nie ohne Krawatte erlebt, und dieser Morgen bildete keine Ausnahme. Potting trug ein Nylonhemd und eine zerfranste grüne Strickkrawatte, eine Tweedjacke und einen langen Anorak mit Knebelverschluss, dazu graue Flanellhosen und solide Schuhe. Mit einem Keuchen quetschte er sich auf die Bank gegenüber von Grace und ließ mit triumphierendem Blick eine große, tropfnasse Plastikmappe auf den Tisch fallen.
»Warum lassen sich die Leute immer an solch scheußlichen Orten ermorden oder ablegen?« Er beugte sich vor und atmete Roy ins Gesicht.
Dieser versuchte, nicht zurückzuzucken, als ihn der üble Geruch anwehte. So ähnlich stellte er es sich vor, von einem Drachen angefaucht zu werden. »Vielleicht sollten Sie einige Richtlinien aufstellen«, erwiderte er gereizt. »Fünfzig goldene Regeln, an die sich jedes Mordopfer halten sollte.«
Ironie war noch nie Norman Pottings Stärke gewesen, und er brauchte einen Augenblick, um den Sarkasmus seines Vorgesetzten zu durchschauen. Dann grinste er und entblößte seine viereckigen, schiefen Zähne, die wie Grabsteine in seinem Mund standen.
Er hob einen Finger. »Heute Morgen bin ich ein bisschen schwer von Begriff, Roy. War eine harte Nacht. Li hat sich wie eine Tigerin aufgeführt!«
Potting hatte sich kürzlich eine Braut aus Thailand zugelegt und erfreute seither alle, die es nicht hören wollten, mit seinen Leistungen im Bett.
Grace wechselte rasch das Thema und deutete auf die Mappe. »Haben Sie die Pläne?«
»Viermal in einer Nacht, Roy! Ein dreckiges Luder, sage ich Ihnen, die macht einfach alles! Wow! Ich bin ein wirklich glücklicher Mann!«
»Wie schön.«
Einen Moment lang freute sich Grace tatsächlich für ihn. Potting hatte mit seinem Liebesleben nie viel Glück gehabt. Drei gescheiterte Ehen und mehrere Kinder, die er zu seinem Bedauern nur selten sah. Das jüngste Mädchen hatte Down Syndrom, und Potting hatte vergeblich versucht, das Sorgerecht zu bekommen. Er war kein schlechter Mensch, auch nicht dumm – im Gegenteil, er war ein äußerst fähiger Polizist –, doch fehlte es ihm an grundlegenden sozialen Fähigkeiten, um bei der Polizei Karriere zu machen. Dennoch galt Norman Potting als solides und zuverlässiges Arbeitstier, das manchmal überraschend die Initiative ergriff. Und das war es, was bei einem großen Fall für Grace zählte.
»Sie sollten auch mal drüber nachdenken, Roy.«
»Worüber?«
»Über eine Thai-Braut. Es gibt Hunderte, die ganz wild auf einen englischen Ehemann sind. Ich gebe Ihnen mal die Internetadresse. Die sind wirklich toll, sag ich Ihnen. Sie kochen, putzen, bügeln und verschaffen Ihnen den besten Sex Ihres Lebens. Wirklich süße kleine Körper –«
»Die Pläne?« Grace ignorierte die letzten Bemerkungen.
»Ach ja.«
Grace holte mehrere große fotokopierte Straßenkarten, Gitternetzkarten und Abschnittszeichnungen aus der Mappe und breitete sie auf dem Tisch aus. Manche stammten noch aus dem 19. Jahrhundert.
Ein Windstoß ließ den Wagen erbeben. Irgendwo in der Ferne heulte eine Sirene und verklang wieder. Der Regen trommelte stetig aufs Dach.
Roy hatte immer Schwierigkeiten gehabt, Pläne zu lesen, und ließ sich von Potting die Feinheiten des Abwassersystems von Brighton and Hove erläutern, wobei er sich an den Unterlagen orientierte, die ihm ein Ingenieur der Stadt an diesem Morgen gebracht hatte. Potting fuhr mit einem schmutzigen Fingernagel
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