So gut wie tot
Augenblick.
20
OKTOBER 2007 Schmeißfliegen oder Blauarschfliegen, wie die Australier sie gerne nennen, ernähren sich von flüssigen Proteinen, die aus verwesenden Leichen austreten, und können eine Leiche aus fast zwanzig Kilometern Entfernung wittern. Eine Eigenschaft, die sie mit Kriminalreportern teilen, wie Roy Grace zu sagen pflegte. Daher war er auch nicht überrascht, als in diesem Augenblick ein ebensolches Exemplar vor dem Wagen der Spurensicherung auftauchte: Kevin Spinella, der hartnäckigste und am besten informierte Kriminalreporter vom Argus. Manchmal war er sogar zu gut informiert.
Grace erklärte dem Beamten, der den Tatort bewachte und ihn per Funk benachrichtigt hatte, dass er mit Spinella sprechen werde. Er trat hinaus in den Regen, dankbar, dass er Norman Pottings Geruch nicht länger einatmen musste. Als er auf den Reporter zuging, bemerkte er zwei Fotografen, die sich ebenfalls in der Nähe herumdrückten.
Spinella stand kaugummikauend ohne Schirm da, die Hände in den Taschen, den Kragen seines Regenmantels hochgeklappt. Er war Anfang zwanzig, ein schmächtiger Mann mit schmalem Gesicht und wachen Augen. Sein dünnes schwarzes Haar war mit Gel nach vorn gekämmt und klebte ihm nass am Kopf.
Unter dem Mantel trug er einen schwarzen Anzug und ein Hemd, das mindestens eine Nummer zu groß war. Der Kragen hing lose um seinen Hals, obwohl er die karminrote, ungeschickt gebundene Polyesterkrawatte straff festgezogen hatte. Seine schicken schwarzen Schuhe waren mit Schlamm bedeckt.
»Sie kommen ein bisschen spät, mein Sohn«, sagte Grace zur Begrüßung.
»Spät?«, erkundigte sich der Reporter stirnrunzelnd.
»Die Schmeißfliegen waren schon Jahre vor Ihnen da.«
Spinella lächelte schwach, als wüsste er nicht, inwieweit Grace ihn auf den Arm nahm. »Ich habe mich gefragt, ob Sie mir ein paar Fragen beantworten könnten, Detective Superintendent.«
»Am Montag gibt es eine Pressekonferenz.«
»Können Sie mir vorher schon etwas sagen?«
»Eigentlich dachte ich, Sie könnten mir weiterhelfen. Gewöhnlich sind Sie doch besser informiert als ich.«
Wieder schien sich der Reporter nicht sicher zu sein, ob Grace scherzte. Er lächelte gezwungen: »Wie ich höre, hat man in dem Abflusskanal da drüben ein Frauenskelett gefunden. Ist das richtig?«
Die Achtlosigkeit, mit der Spinella die Frage stellte, als wären die menschlichen Überreste völlig bedeutungslos, machte Grace wütend. Aber er durfte es nicht zeigen. Es hatte keinen Sinn, mit Spinella Streit anzufangen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass eine gewisse Hilfsbereitschaft der Presse gegenüber durchaus sinnvoll war.
»Es sind menschliche Überreste«, entgegnete er. »Das Geschlecht haben wir allerdings noch nicht eindeutig bestimmen können.«
»Wie ich gehört habe, handelt es sich definitiv um eine Frau.«
Grace lächelte. »Na bitte, ich habe doch gesagt, Sie sind besser informiert als ich.«
»Hm – also ist es wirklich eine Frau?«
»Wem trauen Sie mehr, Ihren Quellen oder mir?«
Der Reporter starrte Grace prüfend an. An seiner Nase bildete sich ein Tropfen, doch er machte keine Anstalten, ihn wegzuwischen. »Kann ich Sie noch etwas fragen?«
»Wenns schnell geht.«
»Ich habe gehört, dass am Montag ein neuer Kollege bei Ihnen in Sussex House anfängt. Detective Superintendent Pewe von der Met.«
Grace erstarrte. Noch eine Bemerkung, und er würde Spinella den Tropfen höchstpersönlich von der Nase hauen. »Sie haben richtig gehört.«
»Meinen Informationen zufolge ist die Met die erste britische Polizeibehörde, die ernsthaft einen Abbau der Bürokratie betreibt.«
»Ach ja?«
Das hämische Grinsen des Reporters war unerträglich. Er sah aus, als wüsste er alle möglichen Geheimnisse. Einen Augenblick lang argwöhnte Grace sogar, der Mann könnte vertrauliche Informationen von Alison Vosper erhalten haben.
»Ich habe gehört, man setze dort mittlerweile Zivilangestellte ein, um verhaftete Personen ins Gefängnis aufzunehmen, damit die Polizeibeamten sofort wieder auf Patrouille gehen können und nicht stundenlang Formulare ausfüllen müssen«, erklärte Spinella. »Gehen Sie davon aus, dass die Kripo Sussex von Detective Superintendent Pewe nützliche Dinge lernen kann?«
Grace schluckte seine Wut hinunter und antwortete mit großer Umsicht: »Ich bin mir sicher, dass Detective Superintendent Pewe ein wertvolles Mitglied der Kripo Sussex werden wird.«
»Darf ich Sie so zitieren?« Das Grinsen
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