So gut wie tot
war nicht weit von der Marine Parade entfernt, die vom Palace Pier zum Yachthafen verlief. Sie wurde an einer Seite von den schönsten Regency-Fassaden der Stadt gesäumt, auf der anderen von der Promenade und dem Strand. Hinter der Marine Parade lag ein Labyrinth von Straßen, in denen sich Wohnungen, billige Hotels und B&Bs drängten.
Er wusste noch, wie sehr sie den Meerblick seiner Wohnung geliebt hatte. Vermutlich würde sie auch jetzt in der Nähe des Meeres wohnen, mit schöner Aussicht. Dadurch ließen sich die Straßen, die in Frage kamen, ziemlich genau eingrenzen. Er musste sich nur etwas verkleiden und dort Wache schieben und hoffen, dass sie irgendwann auftauchte, was nach drei Tagen auch der Fall gewesen war. Er hatte sie entdeckt, als sie einen Zeitschriftenladen in der Eastern Road betrat, und war ihr danach bis vor die Haustür gefolgt.
Natürlich war er versucht gewesen, sie auf der Stelle zu schnappen, aber das wäre zu riskant gewesen. Wenn sie um Hilfe geschrien hätte, wäre alles vorbei gewesen. Genau das war ja das Problem. Sie hatte ihn in der Hand, und das wusste sie auch.
Es regnete noch heftiger, ein lautes Trommeln, das den ganzen Wagen erbeben ließ. An einem solchen Tag wäre ein Zimmerservice ganz nett gewesen. Aber gut, man konnte nicht alles haben. Jedenfalls nicht ohne ein bisschen Geduld.
Als Kind war er mit seinem Vater oft angeln gegangen. Auch sein Vater hatte sich immer für technisches Spielzeug begeistert. Er war einer der ersten gewesen, die einen elektronischen Schwimmer besaßen. Bei der ersten Berührung eines Fisches erklang ein kurzes, schrilles Piepsen aus dem kleinen Empfänger, der neben ihren Klappstühlen auf dem Boden stand.
Es hatte so ähnlich geklungen wie der Piepton, der gerade aus seinem Abhörgerät ertönte, ein scharfes, durchdringendes Piepsen. Dann noch eins.
Die Schlampe rief jemanden an.
40
OKTOBER 2007 Eine Computerstimme meldete sich: »Danke für Ihren Anruf bei Global Express. Um fortzufahren, drücken Sie eine beliebige Taste. Vielen Dank. Um den Status einer Lieferung zu überprüfen, drücken Sie bitte die 1. Um eine Abholung zu beantragen, drücken Sie die 2. Wenn Sie registrierter Kunde sind und eine Abholung beantragen wollen, drücken Sie bitte die 3. Wenn Sie Neukunde sind und eine Abholung beantragen wollen, drücken Sie die 4. Für alle anderen Anfragen drücken Sie bitte die 5.«
Abby drückte die 4.
»Für Lieferungen innerhalb Großbritanniens drücken Sie die 1. Für Überseeaufträge drücken Sie bitte die 2.«
Sie drückte die 1.
Kurze Stille. Sie hasste diese automatischen Systeme. Dann klickte es ein paar Mal, und eine junge Männerstimme meldete sich.
»Global Express, Jonathan am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«
Jonathan hörte sich an, als wäre er besser geeignet, bei einem Herrenausstatter jungen Männern in die Hosen zu helfen.
»Hallo, Jonathan. Bei mir müsste ein Päckchen abgeholt werden.«
»Kein Problem. Welche Größe? Paket oder größer?«
»Ein DIN-A4-Umschlag, zwei bis drei Zentimeter dick«, antwortete sie.
»Überhaupt kein Problem«, versicherte er ihr. »Wo geht die Sendung hin?«
»In die Nähe von Brighton.«
»Kein Problem. Wo soll die Sendung abgeholt werden?«
»In Brighton. Genauer gesagt, Kemp Town.«
»Kein Problem.«
»Wann können Sie kommen?«
»In Ihre Gegend? Mal sehen, da holen wir zwischen vier und sieben ab.«
»Geht es nicht früher?«
»Kein Problem, aber das kostet extra.«
Sie überlegte rasch. Wenn das Wetter so blieb, wäre es gegen fünf Uhr ziemlich dunkel. Wäre das ein Vorteil oder ein Nachteil? »Schicken Sie einen Fahrradboten oder einen Wagen?« »Bei Overnight-Lieferungen kommt ein Wagen«, erwiderte Jonathan.
Sie änderte ihren Plan rasch ab. »Könnten Sie den Fahrer bitten, nicht vor halb sechs zu kommen?«
»Nicht vor halb sechs? Ich schau mal nach.« Es wurde still. Sie dachte angestrengt nach. So viele Fragezeichen. Dann klickte es, und Jonathan meldete sich wieder. »Überhaupt kein Problem.«
41
SEPTEMBER 2007 An einem Montagmorgen hätte er sich weiß Gott etwas Schöneres vorstellen können, dachte Detective Senior Sergeant George Fletcher. Ein grauenhafter Kater war schon schlimm genug, sich aber auch noch in der Abteilung für forensische Pathologie des Victorian Institute of Forensic Medicine aufzuhalten, eindeutig noch schlimmer. Außerdem hasste er diese ganzen neumodischen Ausdrücke. Herrgott noch mal, das hier war das
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