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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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wieder in den umgekippten Korb. Zornig blickte sie den Jungen an, der neben ihr stand, sie mit einem undurchdringlichen Blick betrachtete und sich nicht einmal bückte, sondern sich umdrehte und, mit weniger undurchdringlichem Blick, zum Fenster hinausschaute. Sie preßte die Lippen zusammen und sagte kein Wort. Das Leben hatte sie gelehrt, daß sie nicht die ganze Welt erziehen konnte, aber das Leben selbst würde ihn lehren, wie er sich zu verhalten hatte.
    Als sie, die Körbe in der Hand, mit dem quietschenden Aufzug nach oben fuhr, vergaß sie, sich vor dem zu fürchten, was passieren konnte, und auch als sie die Wohnung betrat, fühlte sie sich nicht anders als damals, im Winter, als sie vor der geschlossenen Pizzeria gestanden hatte, die vorher das Geschäft der Rumäninnen gewesen war, und nicht wußte, wo sie hingehen sollte. Sie konnte nicht formulieren, was sie bedrückte, es war lediglich ein verschwommenes Gefühl, daß die Welt nicht in Ordnung war. Das erste Zeichen dafür, daß an diesem Tag etwas schiefging, war das Fehlen des Fischverkäufers gewesen. Pnina machte sich das nicht in diesen Worten klar, als sie anstelle des Verkäufers den jungen Mann gesehen hatte, sie fühlte nur einen Stich in der Brust und eine Traurigkeit, die immer beklemmender wurde. Nach dem Anruf bei Jo’ela wurde aus der vagen Traurigkeit ein lähmender Schrecken, der sie dazu brachte, in der Küche vor den Einkaufskörben zu stehen und nicht zu wissen, was sie tun sollte. Nach dem Anruf bei Jo’ela hatte sie das Gefühl, die Welt sei ins Wanken gekommen. Bis dahin war sie nur mit einem schweren, quälenden Gefühl herumgelaufen – denn auch sie wußte, daß das Fehlen des Mannes im Fischgeschäft, vernünftig betrachtet, eine Bagatelle war – und hatte nicht gewußt, worauf ihre Unruhe zurückzuführen war.
    Dreiundzwanzig Jahre lang hatte Pnina ihre Fische beim selben Stand auf dem Markt Pardes Katz gekauft. Nachdem sie vor zwölf Jahren von Ramat Gan nach Tel Aviv umgezogen waren, war sie, mit Umsteigen, weiterhin mit dem Autobus zum Markt Pardes Katz gefahren, weil sie sich nicht vorstellen konnte, Beziehungen zu einem neuen Fischverkäufer, einem neuen Metzger zu knüpfen. Jeden Mittwoch nahm sie die lange Fahrt auf sich, schaute sich alle Stände mit Obst und Gemüse an und kaufte dann Äpfel, Bananen, Artischocken und reife Avokados, nicht ohne sorgfältig zu prüfen, ob die Schalen auch grün genug waren. Zitronen holte sie immer bei der alten Frau mit dem seltsamen Kinn, Suppengemüse, Petersilie und Karotten bei dem alten Jemeniten. Dann ging sie zum Metzger, der ihr Suppenfleisch und Knochen für eine gute Fleischsuppe gab, dazu mageres Fleisch, das sie zu Hause selbst durch den Fleischwolf drehte. Die Küchenmaschine und die elektrische Fleischmühle, die Arnon ihr aus Deutschland mitgebracht hatte, standen, originalverpackt, im Schrank. »Für wen hebst du das auf?« hatte Arnon erstaunt gefragt, als er einmal den Schrank aufgemacht und die Kartons gesehen hatte. Sie hatte mit den Schultern gezuckt, die Hände an dem Geschirrtuch abgetrocknet, das sie sich um die Hüften gebunden hatte, über die Schürze. Als das Erstaunen aus seinem Gesicht verschwand und einer Art Zorn Platz machte, der ihr sofort Schuldgefühle verursachte, sagte sie: »Warum sollte ich meine Gewohnheiten ändern, wenn mit den alten Sachen alles in Ordnung ist?« Er hatte behauptet, das spare Zeit, hatte die elektrische Fleischmühle aus der Verpackung genommen und sie auf die Marmorplatte neben die Spüle gestellt. »Und was soll ich mit der gesparten Zeit anfangen?« hatte Pnina ihren Schwiegersohn gefragt, der die Gebrauchsanweisung studierte und, ohne etwas zu sagen, das Gerät anmachte, und als er sich wieder mit ausgebreiteter Zeitung in den Sessel setzte, hatte sie noch hinzugefügt: »Ich habe ja gesagt, daß ich nichts brauche.« Jeden Mittwoch drehte sie also die übliche Runde auf dem Markt: erst Gemüse, dann Obst, und am Schluß ging sie zum Metzger.
    Nie kaufte sie dieses gefrorene Hackfleisch. Mit Widerwillen betrachtete sie die Packungen in der Gefriertruhe – moderne Errungenschaften, die ihr Unbehagen bereiteten – und regte sich innerlich über die mitverarbeiteten Fett- und Knorpelstücke auf. »Im besten Fall«, sagte sie zu sich selbst – in der letzten Zeit hatte sie sogar angefangen, die Sätze nicht nur innerlich zu sagen, sondern laut vor sich hin zu murmeln –, »im besten Fall sind es nur Fett und

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