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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Knorpel.« Sie drehte das Fleisch immer selbst durch den Wolf und brachte es dann zu Jo’ela. Jeden Donnerstag lud Arnon die Körbe mit dem Essen in sein Auto. Das frische Obst und Gemüse, das sie besonders billig bekommen hatte, dazu Päckchen mit Hackfleisch, damit Schula Frikadellen daraus machen konnte, und die Plastikdosen mit gefilte fisch und der gehackten Leber, dem Braten, dazu noch einen Karton, in den sie den Käsekuchen verpackt hatte. Zu den Feiertagen bereitete sie immer besondere Leckerbissen vor, kreplech und Kalbsfuß in Aspik. Aber die Krönung waren die Fische, von denen Hila sagte, sie seien ein Gedicht.
    Jo’ela konnte nicht richtig kochen, und in dieser Beziehung schwankte Pnina zwischen Schuldgefühlen, bei der Erziehung ihrer Tochter versagt zu haben, und der Erleichterung, daß sie selbst noch gebraucht wurde. Wenn Jo’ela etwas kochte, zum Beispiel eine einfache Hühnersuppe, dann schmeckte sie nach nichts. Doch darüber wurde nicht gesprochen. Nur die Begeisterungsschreie der Kinder, die Pnina schon vor dem Haus erwarteten und in den Körben wühlten, wenn das Auto ausgeladen wurde, zeigten, wie sehr sie gewartet hatten. Als Pnina einmal im Krankenhaus war, wegen ihres Herzens, hatte Ja’ara gesagt: »Oma, du mußt schnell wieder heim, wir haben sonst niemanden, der uns so gutes Essen kocht.« Doch niemals wurde erwähnt, daß sie ihr Talent zum Kochen nicht an ihre Tochter weitervererbt hatte. Sie braucht auch nicht kochen zu können, rechtfertigte Pnina sie vor sich selbst, sie arbeitet schon schwer genug.
    Erst wenn die Körbe gefüllt und alle anderen Einkäufe erledigt waren, ging Pnina zum Fischstand. Als letzten Gang. In blauer Arbeitskleidung und mit einer Gummischürze stand der Verkäufer da und wartete mit zornigem Schweigen darauf, daß sie kam und ihre drei Karpfen auswählte. Nie wagte er es, selbst die Fische für sie auszusuchen. Nie lächelte er, nie erkundigte er sich, wie es ihr gehe. Das zornige Funkeln in seinen Augen und die regelmäßige stumme Zeremonie, mit der er seinen Platz räumte und sie an das Becken treten ließ, in dem er die lebenden Karpfen aufbewahrte, waren der einzige Beweis für ihre dreiundzwanzigjährige Bekanntschaft.
    Pnina hatte nie versucht, ihm näherzukommen. Sie wußte, daß die Beziehung zwischen ihnen so war, wie sie sein sollte. Im Laufe der Jahre waren allerdings einige Veränderungen eingetreten. Vor zweiundzwanzig Jahren zum Beispiel, ein Jahr nachdem sie angefangen hatte, bei ihm zu kaufen, hatte sie erlaubt, daß er die Fische vor sich auf eine Zeitung legte und ihnen die Köpfe abschlug, statt sie lebendig und zappelnd in ihren Korb zu legen. Nachdem Jo’ela geheiratet hatte, kaufte Pnina immer drei Karpfen statt zwei. Nach Chaims Tod vor fünf Jahren erlaubte sie dem Verkäufer, die Fische auszunehmen und in Stücke zu schneiden. Sie stand da, beobachtete die Bewegungen des Mannes beim Säubern, sah, wie Fischschuppen in seine Haare sprangen, und kontrollierte zu Hause, im Licht, ob er sauber gearbeitet hatte.
    Fast vierzig Jahre waren vergangen, seit sie lebende, zappelnde Fische gekauft hatte, eingepackt in feuchtes Zeitungspapier, das fleckig wurde von dem blassen Blut. Sie hatte sie immer in der Badewanne aufbewahrt, und jeden Donnerstag hatte Jo’ela geweint, wenn ihre Mutter den Fischen die Köpfe abschnitt, dann mit dem scharfen Messer die Bäuche öffnete, mit der Hand hineinlangte und die Innereien herausholte, auch den durchsichtigen Ballon, den sie Jo’ela zum Spielen gab. Doch das Mädchen war immer nur entsetzt zurückgewichen. Die anderen Kinder in der Straße waren mit den luftgefüllten Blasen hinausgelaufen und hatten sie erst weggeworfen, wenn sie ausgetrocknet und verschrumpelt waren.
    Damals hatte Pnina die Fische immer sofort in Stücke geschnitten, gesäubert und zubereitet. Erst Jahre später, als sie schon einen elektrischen Kühlschrank besaß, war sie bereit gewesen, die toten Fische darin aufzuheben, eingewickelt in das Zeitungspapier, wie der Mann sie ihr überreicht hatte. Nie erlaubte sie, daß er sie direkt in eine Plastiktüte steckte, ohne Zeitungspapier zwischen den Fischen und der Tüte, in der sie hätten schwitzen können.
    Jo’ela hatte erst vor wenigen Jahren angefangen, Fisch zu essen. Früher hatte sie immer den Kopf vom Teller gewandt, das Gesicht verzogen, und ein Schauer war ihr über den Körper gelaufen, als erinnere sie sich deutlich an den Moment ihres Sterbens. Vor wenigen

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