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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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hoch, ließ sich die Haare schützend über das Gesicht fallen und befahl sich selbst, sofort aufzuhören, aber ohne großen Erfolg, denn als sie schon meinte, die Tränen besiegt zu haben, setzte der Bariton ein: Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß , und sie fing wieder an zu weinen. Von ihr selbst war die Rede. Der Baritonsänger war kein junger Mann mehr, seine Stimme zitterte und brach manchmal, ein Zeichen für das Ende seines Weges. Er stand beim Singen einfach da, mit herunterhängenden Armen.
    Als der letzte Ton verklungen war, noch bevor das Klatschen einsetzte, bahnte sie sich einen Weg hinaus, ohne nach rechts oder links zu schauen. Sie sehnte sich nicht nach Einsamkeit, aber es fiel ihr auch kein Mensch ein, mit dem sie hätte Zusammensein wollen. Deshalb schrak sie zusammen wie jemand, der plötzlich inmitten einer Menschenmenge aufwacht und feststellt, daß er nackt ist, als eine Hand sie sanft am Arm berührte. Sie sah den Mann an, der neben ihr stand und lächelte.
    Es folgten Tage, an denen sie sich immer wieder gegenseitig die Geschichte ihres Kennenlernens erzählten und sie immer wieder gerne hörten. Nachdem sie seine Frau gesehen hatte, schlich sich ein neuer Ton in die Melodie ihrer Geschichte, wie alles angefangen hatte. Seine Frau war klein und vertrocknet und litt immer wieder unter schweren Asthmaanfällen – Anfällen, die zunahmen, wenn sie nicht wußte, wohin ihr Mann gegangen war. Wegen dieses Asthmas rief er sie sehr häufig an, entweder zu Hause oder an ihrem Arbeitsplatz, auch wenn er mit Hila zusammen war.
    Was ein großes Wunder gewesen war, wurde zu einer Selbstverständlichkeit. Langsam schlichen sich auch andere Töne in ihre Beziehung, und Eifersucht verdunkelte alles. Hilas Enttäuschung über Alex, so behauptete Jo’ela, sei schuld an ihren Ängsten wegen irgendwelcher fortschreitender Prozesse. Aber Jo’ela weigerte sich zu akzeptieren, daß Hilas Beziehung zu Alex eine besondere Bedeutung hatte. Es sei keine Ehre, die Geliebte eines verheirateten Mannes zu sein, hatte Jo’ela immer wieder gesagt. Der Mensch sehne sich nach Ausschließlichkeit. Man müsse die grundsätzliche Situation verstehen, sie akzeptieren oder auf sie verzichten, sonst werde man nicht glücklich damit.
    Um etwas Nützliches zu tun und um die nur allzu bekannten Gedanken an Alex wegzuschieben, die rasch ihre mühsam errungene Gelassenheit untergraben könnten, saß sie unterdessen auf dem harten Schaukelstuhl und flickte ein Kleid. Denn alles Fleisch, es ist wie Gras. Für einen Moment sah sie Pnina vor sich, von der man erzählte, wie schön sie in ihrer Jugend gewesen sei und wie sehr ihr Mann sie geliebt habe. Er war gestorben, und Pnina hatte den grauen Star. Und das Gesicht mit dem berühmten griechischen Profil war jetzt klein und vertrocknet. Ihr ganzer Körper war eingeschrumpft. So würde auch Jo’ela einschrumpfen. Nach dem Säuglingsalter muß der Mensch in seine Arbeit hineinwachsen, sagte Jo’ela oft, und einen Sinn darin finden, in einem festen Rahmen zu leben, mit wohlüberlegten Wünschen und guten Beziehungen zu denjenigen, die ihm nahestehen – etwas, das sie kurz Menschsein nannte. Deshalb braucht der Mensch eine Arbeit. Gut, was war schlecht daran, Kostüme fürs Theater herzustellen und sich um die Requisiten zu kümmern? Wenn das Theater geschlossen wurde, gab es denn dann keine anderen auf der Welt? Und wenn sie nicht mehr an Türen klopfen wollte, konnte sie immer noch zum Fernsehen zurückkehren, zur Maske, wo sie vor Jahren gearbeitet hatte. Warum sollte sie eigentlich solche Tätigkeiten als vorübergehende Ablenkung ansehen, bis sie das angeblich Richtige gefunden hatte? Auch ein Herzensfreund wie Alex war nur eine Ablenkung, der sie für kurze Zeit von der schweren Aufgabe befreite, ein Mensch zu sein, dessen Pflicht es ist …
    Jo’ela war eine starke Frau, und daß sie schwankte, aktivierte ihre Vitalität. Hila berührte ihre linke Fußsohle, die Stelle, die man als Energiepunkt bezeichnet, und spürte einen plötzlichen, starken Schmerz. Was sie empfand, war keine Schadenfreude, kein Triumph, sondern Angst vor der Niederlage, die Jo’elas Sicherheit bedrohte. Diese Angst war es, die sie dazu bewogen hatte, zusammen mit Jo’ela nach einem Ausweg zu suchen. Sie wollte beweisen, daß Jo’ela sich irrte und daß ausgerechnet von ihr, Hila, die Rettung kam. Diese Überlegung hatte sie dazu

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