So habe ich es mir nicht vorgestellt
gebracht, sich an der Suche nach dem Mädchen zu beteiligen.
Die Reflexzonentherapeutin, die sie gestern aufgesucht hatten, verströmte einen starken Duft nach Orangen und lebte in einem alleinstehenden Haus in einem Gebiet, wo sich einmal ausgedehnte Orangenplantagen befunden hatten. Die meisten Bäume waren im Lauf der Zeit gefällt worden und hatten Häusern Platz gemacht, die Pnina »Villen« zu nennen pflegte – mit einer Betonung des l , was ihre Distanz gegenüber solchen Gebäuden unterstrich, als sei es ihr vorausbestimmt, solche Häuser nie zu bewohnen, auch Jo’elas Haus nannte sie manchmal »Villa« –, dabei waren es einfach zwei- bis dreistöckige Häuser, mit Vorsprüngen und Kanten, mit Ziegeldächern und runden Satellitenschüsseln. Die Reflexzonentherapeutin wohnte in einer der Hauptstraßen des Ortes, ihr Haus war ein einstöckiges, viereckiges Gebäude, und die Fenster, grau angestrichen und mit einem Fliegengitter versehen, blickten unter dem dichten Laub des Geißblatts hervor, das sich an den Wänden emporrankte.
Gestern gegen Abend, als Jo’ela das Auto vor einem kleinen Eisentor abstellte, das in den Angeln schaukelte, versprühte ein alter Rasensprenger Tropfen über dem ungemähten Gras, und die Luft im Zimmer der Reflexzonentherapeutin war feucht und strömte eine Art Frische aus, die Hila sofort mit Brot und Brunnenwasser verband. Das Gesicht der jungen Frau war mager, fast asketisch, und strahlte die Gelassenheit aus, die man sich durch Leiden erwirbt. Darauf wiesen auch die scharfen Falten zwischen den Augenbrauen hin, trotz der glatten, bräunlichen Haut, während das kleine Lächeln auf den geschlossenen Lippen zwar keine Freude ausdrückte, wohl aber Freundlichkeit und Ergebenheit. Wenn die Frau sprach, waren ihre vorstehenden Schneidezähne zu sehen, die in ihrer Kindheit nicht richtig behandelt worden waren. Ihre Schritte waren leise und leicht – sie ging auf ihren weißen Baumwollstrümpfen zur Küche und zurück, vorbei an einem Sofa, an dem hohen, schmalen Behandlungstisch, an den Glasbehältern mit Cremes –, ihre dünnen Arme bewegten sich langsam und weich und wirkten plötzlich runder, als sie ihnen Wasser in hohen, blauen Gläsern anbot, in die sie Zitronenscheiben gelegt hatte. Als Hila den besonderen Geschmack des Wassers betonte, zuckte sie mit den Schultern und meinte, sie habe dem Leitungswasser ein paar Pfefferminzblätter hinzugefügt, allerdings schmecke bekanntermaßen hier, in diesem Gebiet, das normale Wasser recht gut. Jo’ela schwieg, beobachtete die Frau aber unausgesetzt von dem schmalen Sofa aus, auf dem sie saß, besonders als sie sich über ein dickes Heft beugte und ihre Aufzeichnungen noch einmal durchging, bevor sie Hilas Fußsohle berührte. Der Gegensatz zwischen ihrem jungen Gesicht, der leisen Stimme und dem kleinen Lächeln, das sie nicht verlor, während sie aufmerksam Jo’elas Fragen anhörte, und den völlig weißen Strähnen in ihren dunklen, jugendlich geschnittenen Haaren bestärkte Hila in dem Gefühl, die Frau müsse über besondere Kräfte verfügen. Als die kühlen Hände der Therapeutin über ihre Beine glitten, von den Fersen bis zu den Knien, erschrak Hila für einen Moment, weil sie plötzlich fürchtete, die Frau könne, wenn sie ihre Füße betrachtete, durch die Haut hindurchschauen, auch durch das Hühnerauge an ihrem kleinen Zeh, und all ihre Eigenheiten entdecken, ihr heftiges Verlangen nach Berührung zum Beispiel – sie wußte, daß nach Ansicht der Reflexzonentherapeuten die Triebe eines Menschen an der Länge seiner kleinen Zehen abzulesen sind, und ihre kleinen Zehen, das hatte man ihr schon oft gesagt, waren besonders groß im Vergleich zu den großen Zehen, dem Sitz der Vernunft –, und dann würde sie schnell die Füße wegschieben, verächtlich oder erschrocken, und erklären, daß sie sie nicht behandeln könne.
Wäre da nicht der zweifelnde Unterton in Jo’elas Fragen gewesen, die die Massage von Hilas Füßen beobachtete (»Erst sie, dann sehen wir ja, ob noch Zeit ist«, hatte sie vom Sofa aus gemurmelt), hätte sich Hila der Berührung durch die kühlen, trockenen Hände hingeben können, einer Berührung, die zugleich Schmerz und Genuß bereitete. Aber Jo’ela beobachtete jede Bewegung, als suche sie hinter ein großes Geheimnis zu kommen, und als die Frau auf den mittleren Zeh drückte und Hila aufstöhnte, weil sie ganz unerwartet einen scharfen Schmerz spürte, wollte Jo’ela sofort wissen, ob
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