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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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der man sagte, sie habe sich verbrannt. Sie schüttelte den Kopf, als müsse sie sich von einer Last befreien.
    Auf dem Weg zum Parkplatz fiel ihr auf, wie weich das Licht war. Auf beiden Seiten des gepflasterten Wegs standen blühende Lonicera. Die Stufen, die sich den Hang hinunterwanden, führten zum überdachten Parkplatz, zu den Rosenstöcken, wo auch um diese Uhrzeit der Gärtner stand, die Hosenbeine mit einer Schnur zusammengebunden, in schwarzen, staubigen Lederhalbschuhen, und die Rosen beschnitt. Ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt, als sie den stillen Platz überquerte, hinüber zu dem überdachten Teil, wo die Autos der Stationschefs standen. Auf einer Stufe stolperte sie, vertrat sich den Knöchel und ging, um den Fuß zu schonen, humpelnd weiter. Sogar Hila mit ihren Vorahnungen hätte nicht ahnen können, daß ihr, nach über zwanzig Jahren Autofahren, so etwas Blödes passieren könnte. Eine Dummheit, wegen der sie nachts wachlag, wegen der sie Kopfschmerzen bekam und immer wieder die Sätze hörte, die Margaliot gesagt hatte. Jo’ela haßte solche Verbindungen. Es war einfacher zu sagen, sie sei aus Zerstreutheit oder weil es so umständlich war, den Kopf zu wenden, losgefahren, ohne sich umzuschauen.
    Um fünf Uhr fünfundzwanzig nachmittags brachten die Klänge der Hörner die Schlußakkorde. Zum dritten Mal hatte sie die Geigen von Peters Motiv in Peter und der Wolf verpaßt. Nur wenn man bis zum Ende hört, kommen sie zurück. Etwas am Licht verführte sie dazu, den Panoramaspiegel so zu drehen, daß sie ihr Gesicht sah. Arnon hatte ihn angebracht, um das Blickfeld zu vergrößern. Das rötliche Licht brach sich in dem gewölbten Spiegelrand und vergoldete ein einzelnes Haar, das plötzlich, hell und weich, aus einer scharfen Falte auf ihrer linken Gesichtshälfte wuchs. Seit wann hatte sie diese scharfe Falte, und wo kam das Haar her, zwar hell, aber so auffallend, und seit wann hatte ihre Haut einen so wächsernen Farbton? Solche Beschwerden brachten Frauen vor, wenn sie mit ihnen Gespräche führte, die zu den Fragebögen für ihre Forschungsarbeit über die Wechseljahre gehörten. Immer wieder erzählten sie von dem Moment, als sie in den Spiegel geblickt und ihnen plötzlich ein fremdes Gesicht entgegengeschaut hatte, ein Gesicht mit Haaren am Kinn. Ein ums andere Mal erzählten sie das. Als Jo’ela vor fünf Jahren mit dieser Forschungsarbeit begonnen hatte, war sie erst achtunddreißig gewesen. Und damals konnte sie sich nicht vorstellen, daß auch sie irgendwann ihr Spiegelbild betrachten und ein einzelnes verräterisches Haar entdecken könnte. Natürlich wußte sie, daß das Alter sie nicht verschonen würde. Und natürlich waren das Aussehen und die Qualität der Haut nicht das Wichtigste im Leben. Die beiden Frauen, die sie gestern gesehen hatte, hatten zu ihr gesprochen, als erwarteten sie, daß sie von selbst verstünde, um was es ging. Als sei sie eine von ihnen. Und nun, bei den letzten Klängen von Peter und der Wolf , verstand sie, daß sie den Beschwerden der beiden Frauen über das Nachlassen des Gedächtnisses und die wachsende Zerstreutheit so angestrengt und konzentriert zugehört hatte, als müsse sie sie unbedingt ihrer persönlichen Erfahrung hinzufügen. Früher hatte sie es immer genossen, wenn die Nachmittagssonne auf ihr Gesicht fiel, wenn ihre Haare aufleuchteten, einen rötlichgoldenen Glanz bekamen, den sie bei anderem Licht nicht hatten, und wie ein Strahlenkranz ihr Gesicht umgaben. Nun gehörte auch sie zu den Frauen, die man im dunklen Zimmer lieben muß, wie es einmal der Ehemann einer Patientin formuliert hatte, die an Beschwerden der Wechseljahre litt. Die Sonne beleuchtete auch Flecken auf den abgenutzten Sitzen, zwei lange Haare auf dem Beifahrersitz, Kekskrümel und zerknülltes Kaugummipapier. Sie beleuchtete auch ihre Gesichtshaut, die plötzlich trocken aussah, und das helle Haar, das ihr da wuchs, wie auf dem Kinn der alten Ärztin, die allein in einem großen Haus gewohnt hatte und einem immer in dickem Pullover, Wollstrümpfen und abgetragenen warmen Hausschuhen die Tür geöffnet und gesagt hatte: »Nun ja, zu mir kommen keine jungen Männer zu Besuch.« Das Gesicht ihrer Mutter, faltig und eingeschrumpft, schien ihr aus dem Panoramaspiegel entgegenzublicken. Mit einer schnellen Bewegung schob sie den Spiegel wieder an seinen Platz, legte den Gang ein, nahm den Fuß vom Bremspedal, hörte das plötzliche Knirschen der rebellierenden

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