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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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auf dem Bettrand, die russische Krankenschwester strich kreisend über die rechte Brust der Frau, die ihre Bewegungen vorsichtig tastend nachahmte. Mit einem aufblitzenden Goldzahn lächelte die Krankenschwester Jo’ela zu. »Wir stillen«, erklärte sie in entschuldigendem Ton, als müsse sie sich rechtfertigen.
    »Sehr gut«, antwortete Jo’ela und beschloß, erst nach dem Schwesternwechsel in den Kreißsaal zurückzukehren. Aus irgendwelchen Gründen hoffte sie, wie ihr klar wurde, als sie vor der Tür zu ihrem Zimmer stand, daß drinnen der Mann auf sie wartete, den Umschlag in der Hand. Aber er wartete nicht, und der Umschlag lag nicht auf dem Tisch. Ohne es zu merken, spielte sie am Lautsprecherknopf ihres Piepsers, und deshalb erschrak sie, als das Klingeln plötzlich im ganzen Zimmer zu hören war, gleichzeitig mit dem Klingeln der beiden Telefone.
    Sie nahm den Hörer des weißen ab und hörte noch die Stimme der Telefonistin: »Warum sagst du, daß man sie nirgends findet, hier, sie ist in ihrem Zimmer.«
    »Ja?« sagte sie gespannt.
    Monikas Stimme klang gehetzt. »Deine Patientin schreit. Sie schreit und ruft nach dir. Sie hat jetzt Preßwehen und …«
    »Ich komme sofort«, sagte Jo’ela. Sie legte den Hörer auf, schloß langsam die Tür hinter sich zu und atmete tief ein, bevor sie mit schnellen Schritten durch den Korridor zurück zu den Kreißsälen lief. Mirjam verdrehte die Augen, ein Blick, der wohl bedeutete: Wir haben dich überall gesucht. Sogar zu deinen Privatpatientinnen kommst du nicht rechtzeitig. Doch laut zu sagen wagte sie das nicht. Im Kreißsaal stand Monika neben dem Infusionsapparat und bewegte den Infusionsbehälter, als würde das etwas helfen. Herr Mu’alem rang die Hände, und seine Frau schrie aus voller Kehle. »Es drückt«, brachte sie schließlich heraus. »Es tut weh.« Und wieder schrie sie. In ihren Augen lag Wut, als habe Jo’ela sie betrogen.
    »Drücken Sie mit ganzer Kraft«, befahl Jo’ela streng. »Fest drücken. Nicht dagegen ankämpfen.«
    Frau Mu’alem weinte und biß in das Laken, das sie sich zusammengeballt an den Mund hielt, dann entspannte sich ihr Körper. »Das tut weh«, klagte sie. »Das tut wieder weh. Der andere Doktor soll kommen.«
    »Wir werden Doktor Goldmann gleich rufen«, versprach Jo’ela. »Lassen Sie mich nur nachschauen, vielleicht ist es schon soweit …« Während sie sprach, bückte sie sich unter das Laken. Der Kopf war nicht weitergekommen, aber es gab auch kein Anzeichen für eine Gefährdung des Kindes. Die Herztöne waren in Ordnung, das Galoppieren der Pferde war im ganzen Zimmer zu hören. Herr Mu’alem zupfte an seinem Schnurrbart, sagte aber kein Wort.
    In Frau Mu’alems Augen las Jo’ela: Für dich bin ich nur ein weiterer Fall, noch einer in dieser Nacht, für mich hingegen entscheidet diese Nacht über mein ganzes Leben, es kann zwischen uns keine Symmetrie geben. Du kannst mir nicht geben, was ich brauche – Erleichterung der Schmerzen, Kraft, Zusammengehörigkeitsgefühl in der Einsamkeit zwischen einer Preßwehe und der nächsten. Dies sind vielleicht die einsamsten Momente meines Lebens. Alles, was ich erfahre, ist, wie einsam ich bin und wie wenig ihr tun könnt, um mir zu helfen.
    »Es ist bald vorbei«, sagte Jo’ela.
    »Vielleicht bei Ihnen.«
    »Frau Mu’alem, Alisa, schauen Sie uns an, mich, Ihren Mann, alle. Jeder von uns ist von einer Frau geboren worden. Dies ist nicht Ihre Erfindung.«
    »Meinen Sie, ich hätte das auch nur für einen Augenblick vergessen?« fuhr Alisa Mu’alem sie an. »Sie gehen gleich wieder weg. Ich habe es als etwas Schönes in Erinnerung haben wollen, ich wollte, daß es schön ist, ich habe mir solche Mühe gegeben, damit es schön wird, sogar den Morgenrock habe ich extra ausgesucht, ich war beim Frisör, ich habe mir den ganzen Monat vorher freigenommen von der Arbeit, ich wollte, daß wir uns daran erinnern als an etwas Schönes.«
    »Aber es ist schön«, betonte Jo’ela. »Es ist schön! Warum glauben Sie denn, daß es ohne Schönheit ist, nur weil Sie es sich anders vorgestellt haben? Auch in den Dingen, die anders sind, als wir sie uns ausgemalt haben, ist Schönheit. Wenn das Kind da ist, wird alles schön sein.«
    Frau Mu’alems Nasenflügel zitterten, und ihr Mund preßte sich zusammen. Wie zart die Linie zwischen ihrem Kinn und ihrem Hals war. Um ihre Stirn lockten sich die Haare, ihr Gesicht war blaß, unter den hellbraunen Augen mit dem leichten, reizenden

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