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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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hatte sie zu selbstverständlich vorausgesetzt, daß er ihre Erfolge hinnahm und sie unterstützte. Sie hätte merken müssen, was es ihn kostete. Hinter der Tür des Sitzungszimmers ging das normale Leben weiter, war wieder das Quietschen des Essenwagens zu hören, und im Sitzungszimmer hatten sich vier Ärzte versammelt, fast Oberärzte, dazu zwei Studentinnen, ein Student und zwei Praktikanten, und Margaliot, am Kopf des Tisches, schaute nicht einmal zu ihr herüber, sondern prüfte kühl ein Detail nach dem anderen, hörte sich an, wie sie zufällig nachts das Mädchen im Warteraum getroffen hatte, wie es ihr gerade mal eben gelungen war, Mirjam zur Aufnahme der Patientin zu bringen, wie sie sie in der Wöchnerinnenstation untergebracht hatte, wie, wie, wie …
    Margaliot streute Salz in die Wunden: »Die ganze Zeit hat Ihre Intuition funktioniert, nur nicht im kritischen Moment.«
    Diese klaren, einfachen Worte trafen sie hart. Es geschah ihr ganz recht. Aber vielleicht hatte sie nicht genau verstanden, was er gesagt hatte? Das war möglich. Warum sollte sie eigentlich eine solche Staatsaktion daraus machen? Man kann doch einfach leben, wird Arnon sagen. Nein, auch Arnon wird das nicht sagen. Wieso denn? Die anderen schauten sie an, warteten darauf, daß sie etwas sagte.
    »Ich weiß, daß es, medizinisch gesehen, richtiger gewesen wäre, eine normale Geburt abzuwarten«, sagte Jo’ela. »Aber wenn Sie dabeigewesen wären, hätten Sie die arme Frau nach über achtundvierzig Stunden Wehen auch nicht länger warten lassen.«
    »Du hättest dich mit jemandem beraten können«, sagte Nerja plötzlich direkt zu ihr. »Ich war schließlich auf der Station. Ich war hier. Warum hast du das nicht getan? Das ist doch unter Kollegen keine Schande.«
    Ihre Füße waren eiskalt. Aber ihre Hände und ihre Stirn brannten. Das ist nicht gut, wenn der Kopf heiß ist und die Füße kalt. Umgekehrt ist es besser. Und die Luft ist gelb. Alles ist Gelb vor lauter Schwarz. Und wenn sie plötzlich losschrie? Warum nicht? Aber es ging gar nicht, sie hatte einen Brocken in der Kehle, einen viereckigen Brocken. Er nicht. Es konnte nicht anders sein. Sonst wäre er vorsichtig gewesen. Hätte zumindest so getan. Mit entschlossenem Griff den Stuhl zurückschieben. Zu Fuß nach Hause rennen. Fühlen, wie die Luft ins Gesicht schneidet.
    »… wie ich schon gesagt habe«, erklärte Margaliot, vermutlich sogar ihr, »werden wir jetzt nicht die Unterstützung bekommen, um das Projekt anzugehen, aber wir bekommen einen anderen Zuschuß, für die Klimakteriumsforschung. Genug für das Gehalt eines Assistenten. Nun, Jo’ela, was sagen Sie dazu?«
    Zweimal räusperte sie sich, trotzdem war ihre Stimme belegt, als sie antwortete: »Schön, wirklich sehr schön. Aber ich muß jetzt gehen, mein Auto ist fertig, ich muß es bei der Werkstatt abholen, bevor zugemacht wird.«
    Niemand bewegte sich, und sie wußte nicht, wie sie aufstehen sollte. Die Wörter hallten im Zimmer nach. Ein Stuhl knarrte. Wenn sie aufstand, würden ihre Beine nachgeben. Jo’el kommt nicht in Frage. Eine Verschwörung gegen sie. Sie wird es nicht zulassen. Wenn man so etwas zuläßt, kann man den Kopf verlieren. Den Kopf verlieren und schließlich vertrauen. Und die Häßlichkeit. Später kommen die Lügen. Schon jetzt. Man braucht sich ja nur umzuschauen. Das kann sie nicht brauchen. Sie wird es auf keinen Fall tun. Dieses süße Gefühl spielt keine Rolle. Dieses süße Gefühl ist gefährlich. Besonders wenn man es »sehr ernst« nennt. Der Mensch kann sich nur auf sich selbst verlassen. Alle sahen sie an. Sie bewegte den Kopf hin und her, wie sie es als Kind immer getan hatte. Was hast du gemacht? fragte ihre Mutter, als wisse sie es, als habe sie es ihr erzählt, die Leute können doch nicht einfach so … Ihr Vater war tot. Ihre Mutter ging noch immer zum Markt.
    »Ich habe Kopfschmerzen«, flüsterte sie, um zu erklären, warum sie den Kopf von rechts nach links bewegte, von links nach rechts. Wenn eine Frau die chirurgische Abteilung leitete – vielleicht in drei Jahren –, bedeutete das dann, daß sie männlich geworden war? Mochte Jo’el sie wirklich? Und Arnon? Wie sehr? Wenn er von dem wüßte, was heute morgen im Auto passiert war, würde er sie dann immer noch mögen? Die Kinder, die Kinder.
     
    In eine Ecke des Sofas gedrückt, kaute Ja’ara an einer Haarsträhne. »Wie geht’s?« fragte Jo’ela und blickte sich um.
    »So, so«, antwortete Ja’ara und

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