So heiß wie der Wuestenwind
sein. Kamal wollte den Weg offenbar zu Fuß gehen, mit der Trommlerprozession im Gefolge. Und trotz der vielen Gäste und Reporter ragte er aus der Menge heraus wie ein Leuchtturm. Sogar seine beiden Brüder, ebenso hochgewachsen wie er selbst, schienen neben ihm zu verblassen.
Plötzlich hielten Wachen die Frauen auf und erklärten ihnen, dass sie nicht weitergehen dürften. Aliyahs Mutter hatte also recht gehabt. Der Zutritt war für Frauen verboten.
Streng wechselte sie ein paar Worte mit den Wächtern und erreichte, dass sie und die beiden Prinzessinnen weitergehen durften. Nur Anna wurde der Zutritt verwehrt, weil sie nicht zum Königshaus gehörte.
Das Spiel wiederholte sich vor den Toren der Zitadelle. Diesmal gelang es Aliyah noch schneller, die Wachen einzuschüchtern. Wenn sie schon die zukünftige Königin war, konnte sie das auch als Trumpfkarte ausspielen.
Nichts sollte sie davon abhalten, den atemberaubenden Moment mitzuerleben, wenn Kamal den Thron bestieg. Atemlos schritt sie durch das prachtvolle Gebäude, das vor über sechshundert Jahren erbaut worden war, ein Zeugnis der Größe des Landes Judar.
Schließlich hatte sie die Türen zum Zeremoniensaal erreicht. Sie war überwältigt.
Da stand er: Kamal. Ganz in Schwarz gekleidet, majestätisch, ein schier überirdisches Wesen, das zum Herrschen erschaffen war.
Die Zeremonie begann gerade. Shehab streckte ihm das Sayf el welayah entgegen, das Schwert der Machtübergabe. Die prächtige, mit Edelsteinen verzierte Waffe funkelte im Licht. Kamal kniete nieder und hielt die Handflächen hoch, um die Ehre und die Last zu empfangen.
Als Shehab das Schwert in Kamals Hände legte, stöhnte Aliyah auf, als ob sie selbst das Gewicht empfand. Sie wäre ja auch bereit gewesen, die Last mit Kamal zu teilen – doch ihre Ehe würde nur auf Zeit bestehen.
Langsam senkte Kamal den Mund auf die Schwertklinge.
Aliyah fühlte sich, als würden seine Lippen ihre intimste Stelle berühren. So wie er es früher getan hatte, so wie er es bald wieder tun würde.
Oder vielleicht auch nicht. Denn schließlich würde es jetzt ja nur darum gehen, einen Nachkommen zu zeugen, nicht darum, sich gegenseitig Lust zu bereiten …
Während sie noch darüber nachdachte, stand Kamal auf und hob das mächtige Schwert in einer dramatischen Geste über seinen Kopf.
Es war beeindruckend. Wie eine Naturgewalt zog er alle Anwesenden in seinen Bann. Jeder Zoll König, vom Schicksal dazu ausersehen zu herrschen.
Als ob sie unter seinem Bann stünden, erhoben sich alle. Staatsoberhäupter aus Ost und West, der Ältestenrat von Judar, die Stammesfürsten der Al Shalaans und seine Verwandten.
Atemlos warteten sie darauf, was er als Nächstes tun würde. Er hielt das Schwert so, dass die Spitze himmelwärts zeigte. Und dann begann er mit tiefer Stimme zu sprechen.
„ Fe hada al yaum, yaum joloosi alal arsh, oqsem b’Ellahi an ahkom shaabi bel adl, wa obadir’ruhmuh, wa akoon aqwa haleef le holafaa Judar, wa aata a’doww le a’da’ehah .“
An diesem Tage, dem Tag, an dem ich den Thron einnehme, schwöre ich, dass ich mit Gerechtigkeit und Nachsicht über mein Volk herrschen werde, dass ich Judars Freunden ein mächtiger Verbündeter und seinen Feinden ein gnadenloser Gegner sein werde .
Schlagartig erkannte Aliyah: Das war keine Eidesformel, wie sie schon vorherige Könige geschworen hatten, das waren seine eigenen Worte. Und er meinte alles genau so, wie er es sagte.
Mit einer eleganten Bewegung ließ er das Schwert in die goldene diamantenbesetzte Scheide fahren. Dann breitete er die Arme aus.
Aliyahs Herz schlug schneller. Nur knapp widerstand sie dem Impuls, aufzuspringen und ihn zu umarmen.
Wie gut, dass sie sich zurückhielt, denn die Geste galt nicht ihr. Natürlich nicht. Das würde ich auch gar nicht wollen, dachte sie. Schließlich ist das eine Zwangsheirat. Ich werde meinen Teil erfüllen, und dann darf ich gehen. Ich darf auf keinen Fall Gefühle investieren, wenn ich da halbwegs unbeschadet wieder herauskommen will.
Kamals Brüder gingen auf ihn zu, umarmten ihn und küssten seine rechte Schulter. Nachdem sie sich rechts und links neben ihn gestellt hatten, kamen die geladenen Staatsoberhäupter, um ihm zu gratulieren. Mit stoischer Gelassenheit nahm er die Glückwünsche entgegen.
Bahiyah raunte ihnen zu, dass jetzt die Joloos stattfinden würde. Mit einer majestätischen Handbewegung bedeutete Kamal allen, wieder Platz zu nehmen. Seine Brüder stellten sich
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