So heiß wie der Wuestenwind
ertönte von draußen plötzlich ein lautes, dumpfes Donnern. Aliyah zuckte zusammen. „Was war denn das?“
„So wird die Joloos angekündigt“, erklärte ihre Mutter. „Der Donnerhall verkündet die Ära des neuen Königs. Das kannst du ja nicht wissen, weil du noch keinen Thronwechsel miterlebt hast.“
Es wunderte Aliyah selbst, dass sie auf die Zeremonie so gespannt war. Sie ärgerte sich darüber, aber sie wollte unbedingt sehen, wie Kamal offiziell den Thron bestieg.
Am liebsten wäre es ihr gewesen, die Krönung aus der Ferne anzusehen und dann zu verschwinden, ohne den König heiraten zu müssen. Aber das ging natürlich nicht. Und während sie hier noch beschäftigt war, würde sie die Joloos verpassen.
Kurz entschlossen wandte sie sich an die anderen. „Kommt, wir ziehen los und sehen uns das Spektakel an.“
Farah, Carmen und Anna waren sofort einverstanden. Nur Bahiyah zögerte. „In Zohayd ist es Frauen nicht gestattet, einer Joloos beizuwohnen. Ich dachte, in Judar wäre es auch so.“
Aliyah blickte zu Farah und Carmen hinüber. „Haben euch eure Männer davon irgendwas gesagt?“
Beide Frauen schüttelten den Kopf, aber Carmen wandte ein: „Vielleicht haben sie es nur nicht erwähnt, weil sie dachten, dass wir uns das sowieso nicht ansehen wollen. Oder sie waren der Meinung, wir würden dir bis zur letzten Minute bei den Hochzeitsvorbereitungen helfen und hätten keine Zeit dafür.“
„Das mag alles sein, aber wisst ihr was? Es ist mir egal. Schließlich bin ich die Königin – jetzt zwar noch nicht direkt, aber in ein paar Stunden. Und ich sage: Wir sehen uns das an. Falls ihr Probleme bekommt, sagt einfach, ich hätte es euch befohlen. Oder ich gehe allein hin.“
„Kommt gar nicht infrage.“ Farah lächelte. „Ich will mir das auch unbedingt ansehen.“
Nachdem das geklärt war, verließ Aliyah den Flügel des Palastes, den sie wahrscheinlich nie weder betreten würde. Von diesem Abend an würde sie in den Räumlichkeiten des Königs wohnen. Man hatte ihr gesagt, sie seien für einen König in der Blüte seiner Jahre vollkommen neu ausgestattet worden. Was auch immer das heißen mag, dachte sie. Welche Veränderungen musste man für einen „König in der Blüte seiner Jahre“ vornehmen?
Sie würde es bald erfahren.
Die anderen Frauen folgten ihr durch die weiten Flure. „Himmel, was ist denn das für ein Krach?“, rief Farah. „Das hört sich nicht nach Salutschüssen aus Kanonen an, eher wie Donner.“
„In Zohayd haben wir bei solchen feierlichen Anlässen fünfhundert Trommler“, erklärte Bahiyah. „Hört sich an, als hätte Kamal fünftausend aufgeboten“, kommentierte Aliyah.
„Das wäre ihm zuzutrauen“, erwiderte Bahiyah unsicher lächelnd. Ihr war anzumerken, dass sie von Aliyahs Handlungsweise nicht gerade begeistert war.
„Ich kann sogar die verschiedenen Arten von Trommeln heraushören“, sagte Aliyah. „Die Mihbajs stammen noch aus den Zeiten der Beduinen. Mit ihnen wollte man die bösen Geister vertreiben. Und dann höre ich jede Menge Tobools , das sind Trommeln, wie man sie aus Afrika kennt. Auch ein paar Arten von Tamburinen müssen dabei sein, die riesige Mazaher und das kleinere Doffoof . Nur das ganz kleine Reg kann ich nicht erkennen. Es macht eher klingelnde Geräusche.“
„Die Regs kommen später bei der Zaffah zum Einsatz“, erklärte Bahiyah. „Weil das eine mehr feierliche und weniger bedeutsame Zeremonie ist.“
Weniger bedeutsam?, dachte Aliyah. Das mag wohl sein. Außer für mich natürlich.
Sie erreichten die Türen, die zu den Südgärten führten, wo später die Hochzeit stattfinden sollte. Hier würde Kamal auf sie warten, um sie zum Ma’zoon zu geleiten, dem Geistlichen, der sie trauen würde.
Als sie nach draußen trat, überwältigten sie die Eindrücke. Der Schein der allmählich untergehenden Sonne, der trockene Sandgeruch der Wüste, die sanfte Brise vom nahen Meer, die Düfte der unzähligen verschiedenen Blumen und Bäume. Aber was sie am meisten beeindruckte, war Kamals Ausstrahlung – und das, obwohl sie so weit von ihm entfernt war, dass sie ihn kaum sehen konnte.
Er verließ gerade das Palastgelände, um den langen Weg zur Zitadelle Bayt el Hekmah entlangzuschreiten. In ihrem Festsaal fand die Zeremonie der Joloos statt, so wie alle Feiern von staatstragender Bedeutung. Aus diesem Grunde hatte der verstorbene König Zaher auch hier seinen Palast errichten lassen, um ganz nah bei der Zitadelle zu
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