So hoch wie der Himmel
Kates Zimmer steckte. Auch wenn sie beim besten Willen nicht verstand, wie es ein Mensch ertrug, den ganzen Tag lang, den Rücken zur Fensterfront gewandt, zwischen immer gleichen vier Wänden eingesperrt zu sein. Kate jedoch sah durchaus zufrieden aus.
Ihr Schreibtisch war erwartungsgemäß tadellos aufgeräumt. Nirgends stand Überflüssiges herum, kein modischer Briefbeschwerer oder frivoler Schnickschnack. Kate sah neben Spontaneität, Illoyalität und einem desorganisierten Scheckheft Unordnung als eine der Sieben Todsünden an.
Am Rand des schlichten, kastenförmigen Schreibtisches nahm Margo einen ordentlichen Stapel Akten wahr. In einem einfachen Behältnis standen Dutzende tödlich gespitzter Bleistifte stramm. Ein moderner, kleiner Computer summte leise vor sich hin, während Kate auf die Tasten einhämmerte.
Sie hatte ihr marineblaues Jackett über die Lehne ihres Stuhls gehängt und die Ärmel ihrer züchtigen, weißen Bluse arbeitseifrig aufgerollt. Zwischen ihren Brauen wies eine schmale Stirnfalte in Richtung der gelehrten, in Horn gefaßten Lesebrille. Als das Telephon läutete, blinzelte sie nicht einmal.
Und selbst als Margo den Raum betrat, hob Kate nur grüßend einen einzelnen Finger in die Luft, während sie gleichzeitig mit der anderen Hand wie eine Besessene weiterhackte, ehe sie zufrieden nickend die Besucherin eines Blickes würdigte.
»Zur Abwechslung sogar mal pünktlich. Mach bitte die Tür zu, ja? Weißt du, wie viele Menschen bis April warten, um endlich all ihre Belege zusammenzusuchen?«
»Nein.«
»Alle! Setz dich doch.« Als sich Margo in den schlammbraunen Stuhl gegenüber dem Schreibtisch fallen ließ, stand Kate selbst auf, ließ ihre Schultern kreisen, rollte mit dem Kopf und murmelte etwas, das wie ›Entspannung‹ klang. Dann nahm sie ihre Brille ab, klappte die Bügel ein und schob einen von ihnen in die Brusttasche ihrer Bluse, so dass die Brille wie eine Medaille über ihren Busen baumelte. Dann drehte sie sich um, nahm zwei schlichte weiße Becher aus einem Regal und streckte die Hand nach der Kaffeekanne aus. »Annie hat gesagt, dass Josh zu Hause ist.«
»Ja. Er ist heute vormittag angekommen und sieht umwerfend nach Sonne aus.«
»Wann hat er je anders ausgesehen?« Als sie bemerkte, dass das Rollo vor dem Fenster heruntergelassen war, zog sie es hoch, so dass endlich ein wenig natürliches Licht ins Zimmer fiel, auch wenn der Kampf gegen die Neonröhren von vornherein verloren war. »Ich hoffe, dass er eine Weile bleiben wird. Bis zum fünfzehnten habe ich keine Minute Zeit.« Aus einer Schublade ihres Schreibtisches zog sie ein Fläschchen Maloxan, das sie an die Lippen hob, ehe sie den Inhalt wie ein Tippelbruder in einem Zug durch ihre Kehle rinnen ließ.
»Himmel, Kate, wie kannst du so etwas trinken? Das Zeug schmeckt doch sicher grauenhaft.«
Kate lüftete lediglich eine Braue. »Und, wie viele Zigaretten hast du heute schon geraucht?«
»Das ist wohl kaum dasselbe!« Margo verzog angewidert das Gesicht, als Kate die Flasche wieder in die Schublade packte. »Ich weiß wenigstens, dass ich mich langsam umbringe. Du solltest endlich mal zu einem Arzt gehen, verdammt noch mal. Wenn du lernen würdest, dich zu entspannen mit den Yogaübungen, die ich dir erklärt habe …«
»Spar dir deine Spucke«, unterbrach Kate sie mitten im Satz, ehe sie auf ihre praktische Timex sah. Sie hatte weder Zeit noch Lust, um sich wegen eines nervösen Magens zu ängstigen, vor allem nicht, solange die Gewinn- und Verlustrechnung, die momentan auf ihrem Bildschirm flackerte, nicht abgeschlossen war. »In zwanzig Minuten habe ich einen Termin mit einem Klienten, so dass mir augenblicklich einfach die Zeit für eine Diskussion über unsere diversen Süchte fehlt.« Sie hielt Margo einen der beiden Becher hin, ehe sie ihre Hüfte auf den Rand des Schreibtischs schob. »Ist Peter inzwischen mal zu Hause aufgetaucht?«
»Bisher habe ich ihn noch nicht gesehen.« Margo rang mit sich, aber sie hatte mit ihren Predigten Kate gegenüber noch nie auch nur den geringsten Erfolg erzielt. Wahrscheinlich sollte sie sich mit den Problemen ihrer Freundinnen nur der Reihe nach beschäftigen. »Und Laura hat nicht viel gesagt. Kate, lebt er vielleicht inzwischen im Hotel?«
»Nicht offiziell.« Kate knabberte an einem ihrer Nägel, ehe sie sich eilig wieder zusammenriß. Es war einfach eine Frage der Willenskraft, erinnerte sie sich, ehe sie ihren Becher an die Lippen hob. »Aber soweit
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