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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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Situationen, fiel auch er flach auf
     den Rücken, und als Lord seine Bauchseite beroch, produzierte er einen winzigen gelben |45| Springbrunnen. Da wandte sich der große Hund nach geruchlicher Kontrolle dieses Gefühlsergusses langsam und würdig wieder
     von dem entsetzten Baby ab. Im nächsten Augenblick aber war Quick aufgesprungen und sauste nun, befallen vom sogenannten »Rennkrampf«,
     in eng gezogenen Achterschlingen um die Füße des Großen, sprang ihn spielend an und forderte ihn zur Verfolgung auf. Die kleine
     Besitzerin, die bis dahin unter Tränen und nur von grausamen Brüdern am Einschreiten gehindert, der Begegnung zugesehen hatte,
     atmete erleichtert auf, als sich nun jenes wirklich rührende Schauspiel entwickelte, das uns das Spiel zwischen einem sehr
     großen und einem sehr kleinen Hunde bietet.
     
    Die sechs Hundebegegnungen habe ich um ihres ausgeprägten Charakters willen als Beispiele gewählt. Tatsächlich gibt es natürlich
     unzählige Übergänge und Mischungen zwischen den Gefühlen und entsprechenden Ausdrucksbewegungen der Selbstsicherheit und der
     Furcht, des Imponierens und der Ergebenheit, des Angriffs und der Verteidigung. Eben dadurch wird die Analyse der Verhaltensweisen
     so schwierig. Man muß die beschriebenen – und noch viele andere – typischen Ausdrucksbewegungen schon sehr genau kennen, um
     sie auch dann im Hundegesicht richtig lesen zu können, wenn sie sich nur andeutungsweise oder mit anderen gemischt zeigen.
     
    Eine besonders erfreuliche und sympathische Seite des ungeschriebenen, aber in den erblichen Runen des Zentralnervensystems
     seit Urväterzeit festgelegten Gesetzes der Hundesitten betrifft die ritterliche Behandlung der Frauen und Kinder, also der
     Hündinnen und Welpen. Kein normaler Hund beißt einen weiblichen Artgenossen, die Hündin ist unbedingt tabu und darf sich dem
     Rüden gegenüber alles herausnehmen, sie darf ihn zwicken und zausen, ja sogar ernstlich beißen: Dem Rüden stehen keine anderen
     Gegenmaßnahmen zur Verfügung als die Demutsgebärde und der Versuch, den Angriff der bösen Frau mit Hilfe des erwähnten »Höflichkeitsgesichtes« |46| ins Spielerische abzubiegen. Die einzige weitere Möglichkeit, nämlich offene Flucht, verbietet dagegen die männliche Würde,
     denn gerade vor der Hündin ist der Rüde peinlich bedacht, »sein Gesicht zu wahren«.
    Beim Wolf, wie auch bei den überwiegend wolfsblütigen grönländischen Eskimohunden, gilt diese ritterliche Zurückhaltung nur
     vor Weibchen des eigenen Rudels, bei allen vorwiegend aureusblütigen Hunden aber für jedes Weibchen, also auch für das völlig
     unbekannte. Der Chow nimmt eine Mittelstellung ein; lebt einer dauernd mit seinesgleichen zusammen, kann er gegen fremde Aureushündinnen
     recht rüpelhaft sein, sie anknurren und anrempeln, doch habe ich noch keinen gesehen, der wirklich zugeschnappt hätte.
    Bedürfte es noch eines Beweises, um mich von der zoologischen Andersartigkeit, der grundsätzlichen Verschiedenheit des stark
     lupusblütigen Chows und unserer gewöhnlichen europäischen Hunderassen zu überzeugen, ich nähme die Feindschaft dafür, die
     man regelmäßig zwischen diesen von verschiedenen Wildformen abstammenden Hunden beobachten kann. Der spontane Haß, den ein
     Chow bei Dorfhunden, die noch nie seinesgleichen gesehen haben, hervorruft, vor allem aber die Selbstverständlichkeit, mit
     der jeder Köter einen Schakal oder einen Dingo wie seinesgleichen behandelt, sind für mich stärker überzeugende »Reagenzien«
     für die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse als alle Messungen und Berechnungen von Schädel- und Skelettproportionen,
     auf deren statistische Auswertung sich die gegenteilige Meinung gründet. Vor allem sind es die Störungen des sozialen Verhaltens,
     die mich in meiner Meinung bestärken. Es kommt sehr häufig vor, daß beide Hundearten einander nicht anerkennen, so daß Rüden
     sogar vor Hündinnen und Jungen die allgemeinsten »Hunderechte« nicht oder nur ungenügend respektieren. Der Verhaltensforscher,
     der Zoologe, der einiges Fingerspitzengefühl für systematische und stammesgeschichtliche Zusammenhänge hat,
sieht
einfach, daß der Lupushund eine andere Spezies ist als der Aureushund. Und wenn nun die Hunde selbst, die bestimmt nicht vom
     wissenschaftlichen |47| Meinungsstreit beeinflußt sind, zweifellos das gleiche sehen, so glaube ich ihnen mehr als jeder Statistik.
    Unter artgleichen und zum selben

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