So kam der Mensch auf den Hund
hundelose Kindheit verbracht. Meine Mutter stammte nämlich aus einer Zeit, in der die Bakterien
gerade erfunden worden waren und die meisten wohlsituierten Kinder rachitisch wurden, weil man aus Furcht vor Bazillen alle
Vitamine in der Kindermilch totsterilisierte. Erst als ich so groß war, daß man meinem feierlichen Manneswort, mich nie von
dem Hunde abschlecken zu lassen, genügendes Vertrauen entgegenbrachte, durfte ich zum erstenmal einen Hund haben. Der war
leider ein Vollidiot, nämlich jener Dackel Kroki, von welchem ich schon erzählt habe. Kein Wunder, daß dieser charakterlose
Köter meine Begierde nach einem Hund für geraume Zeit dämpfte.
Meine Kinder hingegen sind in engster Kameradschaft mit Hunden aufgewachsen. Ich sehe noch die winzigen Menschen auf allen
vieren unter den Bäuchen der großen Schäferhunde – wir hatten damals fünf Stück – zum Entsetzen meiner armen Mama herumkrabbeln.
Als mein Sohn laufen lernte, pflegte er sich gern an Titos langem Schwanz anzuhalten, wollte er von der vierbeinigen zur zweibeinigen
Lokomotion übergehen. Tito hielt dann zwar mit Duldermiene still, sowie aber das Bübchen aufrecht stand und ihren schwergeprüften
Schwanz losließ, wedelte sie erleichtert so heftig, daß ihre üppige Rute den kleinen Mann derart nachdrücklich auf den Rücken
oder vor den Bauch schlug, daß er wie vom Blitz getroffen wieder zusammenbrach.
Feinsinnige, empfindsame Hunde sind zu den Kindern ihres geliebten Herrn reizend, da sie genau wissen, wie viel ihm an den
Kindern liegt. Die Besorgnis, der Hund könnte einem Kinde etwas tun, ist geradezu lächerlich, hingegen besteht einiger Grund
zu der gegenteiligen Sorge, daß sich nämlich der Hund von den Kindern zuviel gefallen läßt und sie dadurch zur Rücksichtslosigkeit
erzieht. Besonders bei sehr |55| großen und gutmütigen Hunden, etwa bei Bernhardinern oder Neufundländern, muß man in dieser Beziehung einige Vorsicht walten
lassen. Im allgemeinen aber verstehen es die Hunde sehr gut, sich einer allzu lästigen und quälenden Aufmerksamkeit der Kinder
erfolgreich zu entziehen – und gerade darin liegt ein hoher pädagogischer Wert: Da nämlich normal geartete Kinder stets großen
Gefallen an der Gesellschaft der Hunde finden und dementsprechend traurig sind, wenn diese vor ihnen davonlaufen, so wird
den kleinen Menschen sozusagen von selbst beigebracht, wie sie sich zu verhalten haben, um von den Hunden als wünschenswerte
Gesellschafter betrachtet zu werden. Kinder, welche auch nur einigermaßen mit angeborenem Taktgefühl begabt sind, lernen so
bereits in zartestem Alter, Rücksicht zu nehmen – gewiß eine wertvolle Erwerbung. Wenn ich in einem fremden Hause sehe, daß
ein Hund vor dem fünf- oder sechsjährigen Söhnchen
nicht
davonrennt, sondern sich ihm freundlich und ohne jede Scheu naht, steigt meine Wertschätzung des Söhnchens und damit der ganzen
Familie beträchtlich.
Leider muß gesagt werden, daß die Bauernbuben meiner engeren Heimat ausgesprochen zu roh sind für den Umgang mit Hunden. Man
wird bei uns niemals eine Horde kleiner Buben in Begleitung eines Hundes sehen. Ich kenne zwar einzelne Bauernkinder, die
mit dem eigenen Hunde durchaus nett sind, aber in einer größeren Bubenschar scheinen regelmäßig sich einige Rohlinge zu befinden,
welche, und dies ist das Schlimmste, stets die Oberhand gewinnen. Jedenfalls flieht der durchschnittliche niederösterreichische
Dorfhund, sobald er den durchschnittlichen niederösterreichischen Bauernbuben nahen sieht. Das müßte nicht so sein und ist
bemerkenswerterweise auch nicht überall so. In Weißrußland zum Beispiel sieht man regelmäßig »gemischte Buben- und Hundemeuten«
durch die Dörfer streunen, kleine, meist strohköpfige fünf- bis siebenjährige Buben und unzählige rasselose Hunde! Die Hunde
haben vor den Buben nicht die geringste Scheu, sondern bringen ihnen vollstes |56| Vertrauen entgegen. Aus diesem Vertrauen lassen sich weittragende Schlüsse auf die seelischen Eigenschaften jener Buben ziehen!
Es ist wohl die große Naturverbundenheit der russischen Bauernkinder, die sie gegen Hunde so zartfühlend sein läßt.
Das merkwürdigste Verhältnis zwischen einem Hunde und einem Kind, das ich je erlebt habe – ich war damals selbst noch ein
Kind –, bestand zwischen dem riesigen, schwarzen Neufundländer und meinem späteren Schwager Peter. Jener war Haushund, dieser Haussohn
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