So kam der Mensch auf den Hund
auf dem benachbarten Schloß Altenberg. Lord, so hieß das schon einmal erwähnte Tier, war mutig bis zur Verwegenheit, treu,
gutmütig und charakterfest, Peter einer der gefährlichsten Lausbuben der Gegend. Und gerade ihn, den damals Elfjährigen, suchte
sich der gewaltige Rüde als Herrn aus, obwohl das Tier bereits erwachsen auf das Schloß kam. Was den Hund dabei bewegt haben
mochte, ist mir heute noch unklar, da sich ja Hunde ähnlichen Charakters sonst nur Männern, womöglich dem Familienvater, anzuschließen
pflegen. Vielleicht waren es ritterliche Motive, die ihn bewegten, denn Peter war der Jüngste und Schwächste, nicht nur unter
den vier Brüdern, sondern überhaupt unter der wilden Schar vieler Buben und einiger Mädel, die damals die Altenberger Wälder
durch höchst realistische und viel wirkliches Pulver verknallende Indianerspiele unsicher machten. Er wurde oft verhauen,
wie übrigens wir alle im Laufe unserer Kämpfe, Peter jedoch, meiner Meinung nach verdientermaßen, öfter als alle anderen.
Lord hingegen fand das nicht in Ordnung und schob dem energisch einen Riegel vor. Er hat in Verteidigung seines kleinen Herrn
niemals einem von uns anderen Buben auch nur einen Kratzer zugefügt, geschweige denn ernstlich gebissen. Aber haue einmal
einen Buben, wenn dir dabei ein Hund, groß wie ein Löwe und schwarz wie die Mitternacht, zwei schwere Pranken auf die Schultern
legt, ein gefletschtes Gebiß von riesigen, schneeweißen Zähnen unter die Nase hält und in tiefen Orgeltönen dazu knurrt! Peter
hat dem Hunde diesen Schutz mit inniger Liebe vergolten; |57| die beiden waren unzertrennlich. Dies erschwerte Peters Erziehung erheblich, denn selbst Herr Niedermaier, der höchst energische
Hauslehrer, durfte es nicht wagen, auch nur die Stimme gegen Peter zu erheben. Sofort ertönte aus irgendeinem Winkel ein orgeltiefes
Grollen, und der schwarze Löwe schob sich majestätisch näher, worauf Herr Niedermaier die Achseln zuckte und sich abwandte:
Da stehste machtlos vis-à-vis!
Ich habe ein Vorurteil gegen Menschen, auch gegen kleine Kinder, die sich vor Hunden fürchten. Dieses Vorurteil ist sicher
unberechtigt, denn man darf es als eine völlig normale Reaktion ansehen, daß ein kleiner Mensch beim Anblick eines solchen
größeren Raubtieres zunächst vorsichtig und ängstlich ist. Aber die umgekehrte Einstellung, daß ich Kinder liebe, die Hunde
nicht fürchten und mit ihnen geschickt umgehen, hat gewiß ihre Berechtigung, denn der Umgang mit Tieren erfordert eine innige
Vertrautheit mit der Natur. Meine Kinder waren schon lange vor der Vollendung ihres ersten Lebensjahres so vollkommen mit
Hunden vertraut, daß wohl nie eines auf den Gedanken gekommen ist, das Tier könnte ihm etwas zuleide tun. Eben dadurch hat
mich meine Tochter Agnes, als sie kaum sechs Jahre zählte, arg erschreckt.
Agnes war mit ihrem um anderthalb Jahre älteren Bruder in der Au gewesen, um in meinem Auftrage lebendes Fischfutter zu holen.
Als die Kinder heimkamen, brachten sie einen gewaltigen, sehr schönen deutschen Schäferhund mit, der sich ihnen angeschlossen
hatte. Der Rüde, den ich auf mindestens sechs oder sieben Jahre schätzte, was, wie sich später herausstellte, auch richtig
war, machte einen etwas gedrückten und ängstlichen Eindruck. Von mir ließ er sich nur widerwillig streicheln, an den Kindern
aber klebte er mit einer beinahe krampfhaft wirkenden Ergebenheit. Die Sache war mir unheimlich, zumal das Tier mir leicht
geistesgestört vorkam. Obendrein, wie kam wohl der alte Rüde dazu, sich plötzlich den beiden Kindern anzuschließen? Später
fand sich dafür eine einleuchtende Erklärung. Er gehörte nach |58| Langenlebarn, einem zehn Kilometer stromaufwärts gelegenen Dorf, und war von dort, entsetzt über die Böllerschüsse, die anläßlich
eines Kirchweihfestes abgefeuert wurden, davongelaufen und fand merkwürdigerweise nicht mehr heim. Sein Besitzer hatte zwei
Kinder, die meinen in Alter und Aussehen glichen. Offenbar hatte sich ihnen der Rüde deshalb, als er sie in der Au traf, sofort
angeschlossen. Das alles wußte ich aber damals noch nicht. Meine Kinder baten mich flehentlich, sofern sich kein Eigentümer
melden sollte, den Hund behalten zu dürfen.
Eine weitere Komplikation bestand darin, daß unser damaliger Hund, Wolf I., ebenfalls an den Kindern hing, wenn auch in der
lockeren und unbotmäßigen Weise des männlichen Lupushundes.
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