So kam der Mensch auf den Hund
Ohren verschwinden in der wuchernden Üppigkeit des Pelzes. Auch seelisch ist aus dem temperamentvollen, noch
vom Atem der Wildnis angehauchten Raubtier ein pomadiger Teddybär geworden – ausgenommen bei
meiner
Zucht. Aber diese muß nach allen Gesetzen aller Hundezüchterverbände verachtet werden, da sie noch heute einige hundertachtundzwanzigstel
Schäferhundblut enthält.
Eine andere Hunderasse, die ich sehr liebe und deren seelischen Verfall ich deshalb äußerst bedauere, sind die Scotchterrier.
Vor rund fünfunddreißig Jahren, als mein zweiter Hund, die Scotchterrierhündin Ali, meinen Schritten folgte, waren die Hunde
dieser Rasse fast ausnahmslos Muster an Mut und Herrentreue. Keiner meiner späteren Hunde hat mich so wütend verteidigt wie
Ali, und keiner mußte so oft |73| aus hoffnungslosen Kämpfen mit Gegnern, die vielfach überlegen waren, gerettet werden. Aber auch vor keinem mußte ich so oft
eine Katze retten und schließlich hat keiner, außer Ali, eine Katze
einen Baum hinauf verfolgt!
Ich habe nämlich folgendes erlebt: Ali jagte eine Katze. Um sich zu retten, erkletterte sie die erste, schräg abstehende Astgabel
eines Pflaumenbäumchens; im nächsten Augenblick aber mußte sie sich, anderthalb Meter höher, auf eine andere Astgabel zurückziehen,
da Ali in rasendem Ansprung die Krone des Bäumchens erreicht und dort Fuß gefaßt hatte. Wenige Sekunden später mußte die Katze
sich wieder zurückziehen, da Ali auch diese Astgabel erreichte. Der Hund kämpfte jetzt zwar um Halt, da das Geäst schon dünn
war. Er fiel auch nur deshalb nicht hinunter, weil es ihm gelang, einen Ast zwischen Oberschenkel und Bauch in der Leistengegend
einzuklemmen. Einen Augenblick hing er mit dem Kopf nach unten, gewann dann wieder Stand und bellte wütend nach der Katze,
die einen Meter höher im Gezweige saß, welches sie kaum mehr trug. Und nun geschah das Unglaubliche: Alle Muskeln in Alis
sehnigem Körper ballten sich zum Sprung, sie schnellte zur Katze empor, faßte sie mit den Zähnen, hing einen Augenblick an
ihr, die sich verzweifelt zu halten versuchte, und dann krachten beide Tiere gut drei Meter tief zu Boden, wo ich nun zur
Rettung der bedrohten Katze eingreifen mußte, da Ali sie trotz des schweren Aufschlags nicht ausgelassen hatte. Der Katze
war nichts geschehen, Ali aber hinkte wochenlang wegen der Muskelzerrung, die sie sich beim Sturz zugezogen hatte – im Gegensatz
zu Katzen fallen ja Hunde durchaus nicht immer geschickt auf die Füße.
So
waren »Scotties« vor fünfunddreißig Jahren! Fast alle waren so, Ali war durchaus keine Ausnahme. Und heute? Ich ärgere mich
und bin bekümmert, wenn ich bei Hundebegegnungen in unserem hundefreundlichen und -reichen Wien sehe, wie sich die gegenwärtigen
Vertreter dieser Rasse benehmen. Gewiß, meine struppige Ali, deren eines Ohr von einer Narbe schief gezogen war, hätte neben
diesen wohlgetrimmten Schönheiten auf einer Hundeschau keine Aussichten |74| gehabt. Aber diese gehen dafür in Demutstellung schon vor Hunden, die vor meiner Ali laut weinend davongelaufen wären.
Noch ist es Zeit. Noch gibt es selbst bei uns in Mitteleuropa Scotties, die sich vor keinem Bernhardiner fürchten und die
dem stärksten Mann höchst »durchgreifend« an die Beine fahren, sobald er sich bloß ein drohendes Wort gegen den Herrn erlaubt.
Aber solche Scotchterrier sind selten, jedenfalls wird man sie unter den Siegern der Hundeschau vergeblich suchen.
Und nun frage ich die Züchter, von denen man wohl voraussetzen kann, daß sie hundeverständig sind: Wäre es nicht besser, auch
einmal mit einem solchen wackeren, schneidigen und treuen Hund zu züchten, selbst dann, wenn er bei der Punktewertung nach
Körperproportionen schlechter abschneidet als jene wohlgeformten Triumphe rassischer Schnurrbartpflege?
|75| Falsche Katze – lügender Hund
Zu den sprichwörtlich gewordenen Dummheiten, gegen welche die Wissenschaft vergeblich kämpft, gehört die Meinung, Katzen seien
falsch. Es ist mir unklar, wie sie entstanden sein mag. Unmöglich kann dazu die Jagdweise der Katze beigetragen haben, das
leise Beschleichen der Beute, denn Tiger und Löwen jagen nicht anders. Hingegen bleibt die Katze von dem Vorwurf, blutdürstig
zu sein, verschont, obwohl sie gleich jenen Raubtieren ebenfalls ihre Beute totbeißt. Ich weiß kein einziges, der Katze eigentümliches
Verhalten, das man nur annähernd, wenn auch zu Unrecht,
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