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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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restlosen Opfermut. In diesem
     Zustand ist das sanfteste Kätzchen beinahe unüberwindlich. Ich habe große Hunde, berüchtigte Katzentöter, vor solchem Angriff
     kapitulieren und fliehen gesehen. Ernest Seton Thompson beschreibt anschaulich eine entzückende und zweifellos wahre Begebenheit:
     Im Yellowstone-Park schlug eine Katzenmutter einen – Bären in die Flucht und verfolgte ihn, bis er in seiner Angst auf einen
     Baum kletterte!
    Wiederum anders, und diesmal mit Gebärden der Demut verwandt, ist das Drohen einer Katze, die von einem
befreundeten
Menschen übermäßig sekkiert wird. Diese Art gehemmter, von um Gnade flehenden Gesten der Unterwerfung überlagerter Drohgebärden
     kann man oft auf Katzenausstellungen beobachten, wo die Tiere in fremder Umgebung sind und sich von fremden Menschen, beispielsweise
     von Preisrichtern, angreifen lassen müssen. Wird die Katze durch derartige Umstände in Angst versetzt, duckt sie sich, ihr
     Körper wird immer niedriger, bis er schließlich eng an die Unterlage geschmiegt ist. Die Ohren sind drohend flachgelegt, |78| die Schwanzspitze peitscht erregt hin und her, bei höheren Graden der Erregung beginnt die Katze zuweilen auch zu knurren.
     In dieser Stimmung sucht das Tier unbedingt
Rückendeckung
: Es fährt blitzschnell hinter einen Schrank, in einen Kamin oder hinter eine Zentralheizung; ist eine derartige Deckung nicht
     erreichbar, drückt sie sich wenigstens an die Wand, und zwar stets so, daß sie mit dem Rücken zur Wand gewendet und an diese
     gepreßt, schräg daliegt. Die Schräglage ist selbst dann zu bemerken, wenn das bedrängte Tier frei auf dem Tische vor dem Preisrichter
     sitzen muß; sie bedeutet eine drohende Andeutung der Bereitschaft, mit der einen Vorderpranke zuzuschlagen. Je ängstlicher
     das Tier wird, desto schiefer liegt es da, schließlich hebt es eine Pfote, der schlagbereit die Krallen entragen. Bei einer
     weiteren Steigerung der Angst führt dieselbe Reaktionsweise zu der letzten, verzweifelten Verteidigungsmaßnahme, die der Katze
     zur Verfügung steht: Sie rollt sich auf den Rücken und kehrt alle Waffen dem Bedränger zu. Selbst der Katzenkenner ist erstaunt,
     wie gelassen die erfahrenen Preisrichter eine Katze angreifen, welche die Pranke zum Schlage erhoben und den Rachen aufgerissen
     hat, wobei sie die an- und abschwellende Melodie des Katerliedes singt. Obwohl die Katze in solchen Fällen unmißverständlich
     sagt: »Faß mich nicht an, ich werde sonst beißen und zuschlagen«, tut sie dies im entscheidenden Moment doch nicht, oder nur
     gehemmt und mit geringer Durchschlagskraft. Noch unter dieser schweren Beanspruchung halten die erworbenen Hemmungen des gezähmten
     »artigen« Tigers stand! Die Katze stellt sich also nicht vorher freundlich, um dann plötzlich zu beißen und zu kratzen, sondern
     sie droht, um den von ihrem Standpunkt aus unerträglichen Belästigungen der Preisrichter zu entgehen, bringt es aber dann
     doch nicht übers Herz, die Drohungen wahrzumachen. So also ist es mit der »Falschheit« der Katze bestellt.
    Ich möchte es ihr indessen nicht als Verdienst anrechnen, daß sie nicht imstande ist, sich zu verstellen; wohl aber werte
     ich es als ein Zeichen der höheren Intelligenz des Hundes, |79| daß er gerade dies kann! Hierzu seien einige Beobachtungen mitgeteilt.
    Mein alter Bully hatte ein feines Empfinden dafür, wenn er sich »blamiert« hatte. Zweifellos merken kluge Hunde genau, wenn
     sie eine irgendwie klägliche und im menschlichen Sinne komische Rolle spielen. Viele von ihnen geraten ja auch in höchsten
     Zorn oder in tiefste Niedergeschlagenheit, wenn man über sie lacht. Bully war schon alt, und die Schärfe seiner Augen hatte
     beträchtlich nachgelassen, weshalb es ihm öfter unterlaufen konnte, daß er versehentlich mich oder heimkehrende Familienmitglieder
     anbellte. Dies nahm er offensichtlich für eine schwere Blamage und war selbst dann in peinlichster Verlegenheit, wenn ich
     seinen Irrtum taktvoll überging. Eines Tages aber tat er in solcher Lage etwas Merkwürdiges, das ich zunächst für Zufall hielt,
     später aber als eine sehr hohe Intelligenzleistung, nämlich eine zweckgerichtete Vorgabe falscher Tatsachen, erkennen mußte.
    Ich war durch das Hoftor getreten, und ehe ich noch Zeit gefunden hatte, es hinter mir zu schließen, war der Hund laut bellend
     auf mich zugestürzt. Da erkannte er mich, stutzte, war einen Augenblick verlegen, begann wiederum zu bellen,

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