So kam der Mensch auf den Hund
Gefahr, daß bei der Auswahl der Zuchttiere seelische Qualitäten vernachlässigt wurden. Immerhin
können auch bei einer Zuchtwahl, die sich ausschließlich auf Merkmale der Gebrauchstüchtigkeit richtet, seelische Defekte
auftreten. Beispielsweise meint ein von mir hochgeschätzter Hundekenner, daß die mangelnde Herrentreue gewisser Schweißhunde
eben darauf zurückzuführen sei. Zweifellos sind diese Rassen zuvörderst auf die besondere Feinheit ihres Geruchssinnes selektiert;
außerdem ist es möglich, daß sogar eine gerichtete Zuchtwahl auf mangelnde Herrentreue stattgefunden hat: Die Suche nach angeschossenem
Wild ist ja von unsportlichen Jagdherren, aber auch von höheren Forstbeamten, häufig einem beliebigen Gehilfen überlassen
worden; es gehörte also zu der Brauchbarkeit eines »guten« Schweißhundes, daß er mit jedem anderen ebenso arbeitete wie mit
dem eigentlichen Herrn.
Überaus schlimm wird jedoch die Sachlage, wenn die allmächtige Tyrannin Mode, das dümmste aller dummen Weiber, |71| sich anmaßt, dem armen Hunde vorzuschreiben, wie er auszusehen hat. Es gibt keine einzige Hunderasse, deren ursprünglich ausgezeichnete
seelischen Eigenschaften nicht vollständig vernichtet worden wären, sobald sie zur »großen Mode« wurde. Nur dann, wenn in
irgendeinem stillen Winkel der Welt die betreffenden Hunde unbeschadet ihres Modernwerdens als Gebrauchstiere weitergezüchtet
wurden, konnte dieses Verderben vermieden werden. So gibt es in ihrem Heimatlande auch heute noch Stämme schottischer Schäferhunde,
in denen die ursprünglichen wundervollen Charaktereigenschaften dieser Rasse fortleben, während die um die Jahrhundertwende
in Mitteleuropa als Modehunde gezüchteten »edlen« Collies einen unglaublichen Prozeß der Verdummung und Charakterverschlechterung
durchgemacht haben. Gewährt die Gebrauchshundezucht einer modern werdenden Rasse und ihren seelischen Eigenschaften keinen
Rückhalt, ist ihr Schicksal besiegelt. Sogar solche Züchter, die durchaus anständig sind und eher stürben, als daß sie die
Einkreuzung eines nicht bis ins hundertste Glied reinrassigen Tieres zuließen oder verschwiegen, finden es keineswegs unethisch,
mit körperlich sehr schönen, seelisch aber defekten Hunden zu züchten.
Tierverständiger Leser, für den ich dieses Buch schreibe, glaube mir: Die Freude daran, daß dein Hund dem Ideal seiner Rasse
nahezu entspricht, stumpft in jahrelanger Intimität allmählich ab, nicht jedoch das Mißbehagen an psychischen Fehlern wie
Nervosität, Handscheuheit oder übertriebener Feigheit. Man wird nämlich im Laufe der Zeit gegen diese zermürbenden Eigenschaften
nicht immun, sondern überempfindlich. Ein intelligenter, treuer, nicht nervöser und schneidiger Promenademischling bringt
auf die Dauer sicher mehr Freude als ein Champion, der viele tausend Schilling gekostet hat.
Es wäre, wie gesagt, schon möglich, einen Kompromiß zwischen der Zuchtwahl auf seelische und der auf körperliche Eigenschaften
zu schließen, denn solange sich ihrer nicht die Mode bemächtigte, haben die verschiedensten rein gezüchteten |72| Hunderassen ja ihre erfreulichen Charaktereigenschaften bewahrt. Schon in der Organisation des Ausstellungs- und Richterwesens
aber liegt eine gewisse Gefahr: Die Konkurrenz der Rassetiere in einer Hundeschau muß nämlich automatisch sozusagen zu einer
Übertreibung rassespezifischer Merkmale führen. Betrachtet man historische Bilder, die bei englischen Hunderassen weit in
das Mittelalter führen, und vergleicht man sie mit Bildern heutiger Vertreter des gleichen Schlages, so wirken diese wie böswillige
Karikaturen des ursprünglichen Erscheinungsbildes der betreffenden Rasse. Beim Chow-Chow, der erst im Laufe der letzten Jahrzehnte
Modehund geworden ist, fällt dies besonders auf. Noch etwa um 1920 waren die Chows ausgesprochen wildformnahe und natürliche
Hunde, denen ihre spitze Nase, die schräg gestellten Mongolenaugen und die scharf aufwärts stehenden Spitzohren jenen so ungemein
reizvollen Gesichtsausdruck gaben, der grönländischen Schlittenhunden, Samojeden und Huskies, kurz, allen stark wolfsblütigen
Hunderassen eignet. Heute ist der Chow-Chow auf Übertreibung jener Merkmale gezüchtet, die seine charakteristische Bärenhaftigkeit
ausmachen: Die Nase ist breit und kurz, beinahe doggenartig, die Augen haben in der Zusammendrängung des Gesichtes ihre Schrägstellung
verloren, die
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